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Sicherheit im öffentlichen Raum: Das Phänomen „Antänzer“ geht zu Lasten von Frauen

Die Belästigung von Frauen, neuerdings Antanzen genannt, breitet sich offenbar aus, der öffentliche Raum wird zum Kampfplatz. Für Frauen bedeutet das, ihre Räume werden enger. Vielmehr: wieder enger. Das ist äußerst frustrierend. Eine Antwort auf das Phänomen gibt es bisher nicht. Nur Ursachenforschung. Das reicht nicht. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Zu späterer Stunde sahen die zwischen 40 und 50 Jahre alten Frauen, die aus retro- romantischen Gründen zu einer 80er-Jahre-Party in die Disco gekommen waren, erst einen, dann zwei junge Männer auf sich zu- und um sie herumtanzen. Die jungen Männer, Jungs eher, schmal, dunkle Haare, dunkler Teint, wirkten nett, sie lachten. Die Frauen wunderten sich. Was wollen die ausgerechnet von uns?

Der erste Gedanke, die freuen sich, dass wir uns hier gut amüsieren, wurde fortgefegt vom Verdacht, es vielleicht mit Antänzern zu tun zu haben, jenen „Tänzern“, denen es eben nicht um Disco, sondern um Diebstahl geht. Die Abwehrgesten wurden energischer, die Stimmung kippte, die Frauen beschlossen zu gehen.

Einerseits war das sicher vernünftig, wozu sich belästigen und am Ende noch bestehlen lassen. Andererseits haben sie denen das Feld überlassen, die übergriffig geworden sind – und ihnen damit irgendwie recht gegeben.

Die sogenannte Antänzerei, spätestens bekannt seit der Kölner Silvesternacht, und nunmehr beim Karneval der Kulturen und möglicherweise auch in einem Einkaufscenter in Berlin-Steglitz vorgekommen, macht den öffentlichen Raum in einem neuen Ausmaß zum Kampfplatz. Es geht Männer gegen Frauen. Präziser: muslimisch geprägte Männer gegen nicht-muslimische Frauen; in Berlin sollen die Worte „Na, ihr Schlampen wollt das doch“ gefallen sein. Davor kannte man das „nur“ aus Brennpunktschulen, in denen deutsche Schülerinnen und Lehrerinnen so etwas hörten.

Was macht man nun?

Man kann nach den Ursachen für solches Verhalten suchen, wie es in vielen Debatten geschieht. Es geht dann um den Islam und um Muslime, die eher so oder eher anders seien, und der Ton wird schnell schrill und vorwurfsvoll.

Aber sind das überhaupt die dringendsten Fragen? Muss zunächst das Problem in seinen Entstehungswegen beleuchtet werden? Oder braucht es nicht viel eher Lösungen?

Talkshows kannten nur noch ein Thema: den Muslim und sein Frauenbild

Die Zeit zwischen Silvester und dem Karneval der Kulturen ist in Sachen Ursachenforschung nahezu übernutzt worden. Es hat Talkshowrunden und Zeitungsartikel im Wochentakt über das Frauenbild der Muslime gegeben, doch konkret passiert ist dies: Das „neue Kriminalitätsphänomen“ hat sich, was die Täter angeht, ausgedehnt. In Berlin waren es nicht mehr nur Nordafrikaner, sondern auch deutsch-türkisch sozialisierte, einheimische Jungmänner, die Frauen bedroht und belästigt haben. Und ist auszuschließen, dass erst Köln sie inspiriert hat?

Für Frauen bedeutet das, ihre Räume werden enger. Vielmehr: wieder enger. Das ist äußerst frustrierend.

Seit den 1980er und 1990er Jahren hatte sich viel verbessert. Damals, 1984, ergab eine Umfrage im Auftrag des „Stern“, dass 71 Prozent der bundesdeutschen Frauen sich unsicher und bedroht fühlen, wenn sie abends oder nachts im öffentlichen Raum unterwegs sind. Nachts allein durch den Park? Auf gar keinen Fall, hörten früher die Mädchen von ihren Eltern. Was mit Muslimen übrigens gar nichts zu tun hatte.

Das Wort „Angstraum“ wurde berühmt, die Gesellschaft nahm das ernst und reagierte. Einige Kommunen richteten Frauentaxis ein, die Frauen zum subventionierten Nahverkehrstarif nachts nach Hause fahren, und in öffentlichen Garagen wurden Frauenparkplätze gebaut. Alles, um verunsicherten Frauen den Weg aus der Vermeidungsstarre zu ebnen. Denn Frauen reagieren auf Bedrohungslagen häufig mit präventivem Ausweichen, was im außerhäuslichen Raum zur Einschränkung ihrer Mobilität führt.

Alle müssen mehr aufeinander achten. Oder ist jemand für Überwachungskameras?

Was sind heute die Antworten der Gesellschaft für Frauen, die sich überlegen, ob sie zur nächsten Straßenparty, zum Karneval, zum Public Viewing oder in die Disco gehen? Antworten jenseits von Selbstverteidigungskurs oder Pfefferspray? Jenseits der Forderung nach mehr polizeilicher Präsenz? Wie könnten sie aussehen?

Die vielen Debatten haben eine allgemeine Aufmerksamkeit geschaffen, das ist gut, und dass in Berlin Zeugen schnell und effektiv eingegriffen haben, ist tröstlich und macht Mut. Das kann noch mehr werden. Auch die DJs am Pult, die Caipirinha-Mixer beim Karneval, die Fußballfans vor der Leinwand können das Gefühl vermitteln, dass sie ein Auge haben für ihre Umgebung. So entsteht Sicherheit – und zwar nicht nur für Frauen – und vielleicht auch ein neuer Zusammenhalt.

Alternativ könnte man nur noch alle öffentliche Plätze mit Überwachungskameras bestücken. Aber was macht das für ein Gefühl?

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