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Steht im Regen. David Cameron, Premierminister von Großbritannien.

© dpa

Wahl in Großbritannien: Das Problem mit den Schotten

An diesem Donnerstag wählen die Briten ein neues Parlament. Seit mindestens 100 Jahren war die Regierungsbildung nicht so komplex. Weil weder Labour noch die Torys eine Mehrheit bekommen werden, könnte Premierminister David Cameron zu einem Trick greifen.

Noch bevor die Wahlkämpfer ihre letzten Reden hielten und die Wahllokale am Donnerstag morgen öffneten, begann in Großbritannien der Streit um das Wahlergebnis und wie es weiter geht. Wenn die Umfragen sich nicht völlig geirrt haben, wird das Land am Freitag morgen verfassungspolitisches Neuland betreten. Nie waren die Prognosen so unklar, die Spekulationen über die Regierungsbildung so heiß, das verfassungstechnische Prozedere so verwirrend und die Wahlarithmetik so komplex.

Nicht nur dürften beide großen Parteien, Labour und Konservative, die Mehrheit verfehlen. Auch naheliegende Zweierkoalitionen - beispielsweise mit den Liberaldemokraten – dürften die nötigen 323 Stimmen für die knappste Mehrheit nicht erreichen. Die Aussicht, dass eine Regierungsbildung ohne die separatistische schottische SNP unmöglich ist, die sich auf einen Erdrutschsieg einstellt, hat bereits eine hitzige Debatte um die „Legitimität“ der neuen Regierung ausgelöst.

Tories und die Zeitungen, die sie unterstützen, sprechen einer von der SNP gestützten Labour Minderheitsregierung „Legitimität“ ab – auch wenn sie eine arithmetisch unwiderlegliche „legale“ Mehrheit hätte. „Wir brauchen eine Regierung, die jeden Teil des Landes erreichen kann. Und Labour tut das nicht“, so Ex-Premier John Major im „Daily Telegraph“.

Engländer wollen keine Regierung, die von der schottischen SNP abhängt

Laut einer Umfrage des „Independent“ sprechen 71 Prozent der englischen Wähler einer Regierung Legitimität ab, die mit Stimmen der schottischen SNP über England regiert. Sogar der schottische Ex-Premier Gordon Brown schien dem zuzustimmen. „Nationalismus diktiert jede Entscheidung der SNP, sie können nie akzeptieren, dass gemeinsames Teilen in einem Vereinigten Königreich der Weg ist, soziale Sicherheit zu schaffen“, warnte er. Brown lehnt, wie sein Nachfolger, Labourchef Ed Miliband, einen „Pakt“ oder eine Koalition mit der SNP ab. Aber das würde eine Labourminderheitsregierung nicht ausschließen, die von den Stimmen der SNP abhängt.

SNP Chefin Nicola Sturgeon versicherte dagegen im Triumph: „Am Freitag sitze ich mit Ed Miliband am Tisch und verhandle“. Sie argumentiert, eine Regierung, in der die SNP nach einem vernichtenden Wahlsieg nicht vertreten ist, hätte in Schottland keine Legitimität.

Seit mindestens einem Jahrhundert war die Regierungsbildung nicht so komplex. Erschwerend ist, dass es bei den Briten keine Tradition von Koalitionsverhandlungen und keine Koalitionserklärungen vor der Wahl gibt. Sie haben nicht einmal eine geschriebene Verfassung, die das Prozedere regelt. Es gibt lediglich das „Cabinet Manual“, ein Leitfaden, der die Erfahrungen der Koalitionsbildung von 2010 zusammenfasst. Mit seiner Hilfe wird der Chefbeamte der Regierung, Sir Jeremy Heywood, die Regierungsbildung im Hintergrund steuern. Aber viele Punkte sind in der Verfassungspraxis ungetestet.

David Cameron will Labour dazu zwingen, offen mit der SNP zu paktieren, um ihn zu stürzen

Premier David Cameron deutete an, er werde von seinem Recht als Amtsinhaber Gebrauch machen und so lange im Amt bleiben, bis klar ist, dass er nicht „das Vertrauen des Parlamentes“ hat. Der Trick dabei: Das könnte bedeuten, dass er am 27. Mai, dem „State Opening of Parliament“, demonstrativ versuchen würde, eine Regierungserklärung durchs Parlament zu bekommen. Der Pomp der Thronrede mit der Kutschenfahrt der Queen würde zur Kulisse für einen parlamentarischen Showdown, wenn Labour ihn demonstrativ gemeinsam mit der SNP abwählen müsste, um an die Macht zu kommen. Das Ziel Camerons: Er will zeigen, dass Labour nur mit Hilfe der SNP regieren kann. Die Aussicht, dass Labourführer Ed Miliband, der ein Bündnis mit der SNP ausgeschlossen hat, mit eben dieser SNP Cameron stürzen würde, wäre eine große Gefahr für Labour.

Für die Tories gelten 290 Sitze als magische Zahl. Darüber hätte Cameron Aussichten, im Amt zu bleiben, etwa mit einer Neuauflage der Koalition mit den Liberaldemokraten. Hat er zwischen 280 und 290 Sitze, ist seine Position gefährdet. Gewinnen die Tories weniger als 280 Sitze, ist eine Labourregierung wahrscheinlich, auch wenn die Tories stärkste Partei sind. Der „Wahlverlierer“ Miliband würde dann Premier einer schwachen und umstrittenen Regierung.

Traditionell konnten Premiers einfach die Queen um eine Parlamentsauflösung bitten, wenn die Regierung ins Stocken kam. Seit dem 2010 erlassenes Gesetz über feste Parlamentsperioden kann die Queen nur noch nach einer Parlamentsabstimmung grünes Licht für eine Neuwahl geben. Trotzdem glauben viele, dass die Briten im Herbst schon wieder wählen.

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