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Politik: Das Recht auf Privatheit

BERLINS GERÜCHTEKÜCHE

Von Giovanni di Lorenzo

Bloß nicht heucheln: Der Tagesspiegel ist nicht anständiger und auch nicht unschuldiger als andere Medien. Und der Autor dieser Zeilen hat nicht weniger Irrungen und Wirrungen zu verantworten als andere Kollegen. Vielleicht darf man aber aus Schaden (den man anrichtet) gelegentlich wirklich etwas klüger werden, statt immer noch dümmer. Und deshalb sagen: Was in diesen Tagen über das angebliche Privatleben des Kanzlers und der darin vermeintlich verstrickten Personen verbreitet wird, verletzt aufs Gröbste die Intimsphäre der Betroffenen. Es verstößt gegen elementare Werte journalistischer Arbeit – Wahrhaftigkeit und Relevanz. Nicht nur der Kanzler, der das Bedürfnis danach bekannt hat, auch der Leser kann in diesen Tagen das Kotzen kriegen.

Vordergründig begann die Affäre noch vergleichsweise harmlos. Da reportierte ein Blatt aus Brandenburg, der Kanzler habe Krach mit seiner Frau und würde deswegen gelegentlich im Hotel übernachten. Jeden Beweis dafür blieb die Zeitung schuldig. Dagegen kündigte der Kanzler Klage an, nicht ahnend, dass Schlimmeres folgen sollte. Über den Umweg einer englischen Zeitung wurde in Deutschland nun auch das publik, was von Journalisten in Berlin bereits seit Monaten genüsslich kolportiert wurde, ohne die Spur eines Indizes. Schröder habe ein außereheliches Verhältnis mit einer Frau, die vereinzelt auch genannt wurde .

Es geht um viel mehr als um die Frage, ob das Privatleben von Spitzenpolitikern in die Schlagzeilen gehört, so wie es bei Schauspielern, Sängern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gang und gäbe ist. In Deutschland hat man im Unterschied zu anderen protestantisch dominierten Ländern bislang Affären von Politikern und erst recht Gerüchte darüber fast nie öffentlich gemacht, und das ist eine zivilisatorische Errungenschaft – wider die Bigotterie und für ein Minimum an privatem Glück.

Anders als Schauspieler und Sänger, die sich durchaus auch abschotten können, wenn sie es nur wollen, haben Politiker in aller Regel keinen Nutzen von der Zurschaustellung ihrer Intimsphäre. Wir, ihre Wähler, müssen uns fragen, ob wir künftig nur noch Berserkertypen in den Parlamenten sehen wollen, deren wichtigste Qualifikation es ist, neben den politischen Anfeindungen auch noch die persönlichprivaten aushalten zu können.

Andererseits wäre ein Politiker, der etwa einen Kreuzzug gegen Prostitution führte und dann als Bordellbesucher aktenkundig werden würde, nur in einer Diktatur zu schützen. Und ein Kanzler, der bei seiner Neujahrsansprache die Glückwünsche auch im Namen seiner Frau unters Volk bringt, in Wirklichkeit aber längst in anderen Verhältnissen lebte, hätte sicher weniger Aussicht auf Schonung als jemand, der sich diese Demonstration der Zweisamkeit verkneifen würde. Wenn es denn so wäre.

Im jetzigen Fall aber haben Journalisten eine Liebesgeschichte, für die es nie einen Beleg gab, so lange kolportiert, bis sie durch Wiederholung nachrichtentauglich wurde. Am Anfang stand die Unterstellung, der Kanzler habe ein Verhältnis. Weil niemand die dazugehörende Frau gesichtet hatte – es gab sie ja nicht – brachte man mal die eine, mal die andere Journalistin ins Gespräch. An einer blieb das Gerücht dann zufällig hängen. Ein eklatanteres Beispiel für die böse These, die Medien schafften sich ihre eigene Wirklichkeit, lässt sich schwer finden.

Man verschone uns jetzt mit Ausflüchten aller Art. Natürlich gibt es Klatsch überall, wo Mächtige sind. Natürlich macht Klatsch Spaß. Und Schröder ist ein Medienkanzler, ja. Aber frei erfundene Geschichten von Journalisten belegen keine Affäre. Höchstens unsere eigene.

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