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Politik: Das Recht zu sterben

Von Peter von Becker

So viele Menschen sterben jeden Tag, kaum bemerkt und ungezählt. Erst wenn der Tod und die Toten ein Gesicht haben und eine Geschichte, werden sie auch über den Kreis der Angehörigen hinaus zum Trauerfall. Oder zu einem Anlass nachzudenken. Das Schicksal der amerikanischen KomaPatientin Terri Schiavo aber war auch in der Medien-Öffentlichkeit ein neuer, bestürzender Fall.

Häufiger als wohl den meisten bewusst kommt es vor, dass eben noch vitale Menschen durch einen Unfall oder eine Krankheit aus dem aktiven Leben jäh in einen womöglich unheilbaren Zustand der geistigen oder körperlichen Lähmung und Betäubung gerissen werden. Das Neue, Makabre im Fall Schiavo freilich war, dass hier über Tod oder Leben eines Menschen, der selber keine Stimme hatte, vor den Augen der Welt die nächsten Anverwandten stritten – und am Ende und im Zweifel nicht mehr die Macht oder Ohnmacht der Medizin entschied.

Das Urteil über Terri Schiavos Leben wurde von amerikanischen Zivilgerichten gefällt. In einer Sphäre, in der es zwar auch um die güterrechtlichen Folgen von Todesfällen oder bei noch Lebenden um Schmerzensgelder gehen kann. In der aber normalerweise Streitfälle des bürgerlichen (Geschäfts-)Lebens geregelt werden und nicht zur Debatte steht, ob eine 41-jährige, körperlich lebensfähige Frau, deren Empfindungen niemand mit letzter Sicherheit ergründen kann, vor den Augen von Eltern, Ärzten und Anwälten verhungern und verdursten muss.

Auch in Deutschland sind ähnliche Konflikte denkbar, selbst wenn ein deutsches Gericht in einer vergleichbaren Lage bisher kein solches faktisches Todesurteil hätte fällen dürfen und die Ärzte mindestens wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen würden. Lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen oder zu unterlassen, wäre bei uns nur mit dem ausdrücklichen Willen eines sterbenskranken Menschen erlaubt. Dieses für alle Beteiligten beschwerende Verfahren soll durch eine gesetzliche Regelung der so genannten Patientenverfügungen künftig normiert werden.

Das ist vernünftig, wenn es um die nachweisliche Entscheidung von offenbar unheilbar kranken, schwer leidenden, moribunden Menschen geht. Jeder muss das Recht haben, über die Würde seines Lebensendes möglichst noch selbst zu bestimmen. Um dabei auch auf technisch noch mögliche Maßnahmen einer das Sterben verlängernden Medizin zu verzichten. Viel komplizierter sind jedoch die Fälle, in denen kein erkennbar letzter Wille der Betroffenen dokumentiert ist, sondern Äußerungen aus Zeiten stammen, als der Tod noch fern und das Lebensende im Grunde unvorstellbar war. Jung und gesund sagt man schnell, man möchte am liebsten nie alt, krank und siech sterben. Doch dann auch alt und krank und siech zu sein, verändert oft genug alles. Auch den Lebens- oder Sterbewillen. Und mit dem Fall einer komatösen Katastrophe mitten im schönsten, scheinbar ewigen Leben rechnet kaum jemand.

Das macht die angeblichen, von ihrem Ehemann beteuerten mündlichen Äußerungen von Terri Schiavo – als Zwanzigjährige – auch so zweifelhaft. Wir wissen nicht, was sie heute über ihren Fall gedacht hätte, und wir wissen noch nicht einmal, was sie bis gestern wirklich gespürt hatte. Die ganze neuere Diskussion über Sterbehilfe und ein „humanes Sterben“ ist zudem nicht nur aufgeladen mit politischen und religiösen Interessen, deren Instrumentalisierung man jetzt in den USA als Begleitmusik zu Schiavos öffentlichem Sterben beobachten konnte. Es geht vielmehr auch immer mehr um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Je länger die Bewohner der reichen Ersten Welt dank des medizinischen Fortschritts leben, desto mehr wachsen die Kosten – auch die Begehrlichkeiten (und in Rentenfragen auch Sorgen) der nächsten Generationen. So wird in den Niederlanden, wo die aktive Sterbehilfe weitgehend legalisiert wurde, von immer mehr Zweifelsfällen berichtet, in denen Erben wohl schneller erben und Kassen nicht weiter zahlen wollten. Auch das muss, wer das Sterben gesetzlich regeln will, bedenken.

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