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Politik: Das Richtige im Falschen

SADDAMS STURZ

Von Christoph von Marschall

Welch ein Tag für den Irak. Aber auch für Amerika. Drei Wochen nach Kriegsbeginn zerfällt Saddam Husseins Regime, stehen Bushs Truppen mitten in Bagdad – und die Iraker jubeln ihnen zu. Sie selbst befreien sich nun vom Diktator, stürzen seine Denkmäler. Es sind Szenen, die uns den Irak ganz nahe bringen, weil wir sie aus unserer eigenen jüngsten Geschichte kennen: die Drahtschlingen um den Hals kolossaler LeninFiguren, die Mauerspechte. Mit jedem Hammerschlag gegen die Sockel der Saddam-Statuen holt sich ein entmündigtes Volk ein Stück Souveränität zurück. Bagdad steht plötzlich in einer Reihe mit Danzig, Budapest, Leipzig, Prag, Bukarest und Belgrad – Namen, die für die Selbstbefreiung Osteuropas stehen. Diesen Jubel muss sich niemand versagen, der diesen Krieg für falsch hielt. Der Sturz einer so menschenverachtenden Diktatur darf für jeden Demokraten ein Grund zur Freude sein.

Die Iraker vermochten das nicht aus eigener Kraft, sogar zum Sturz der Denkmäler brauchen sie George W. Bushs Militärgerät. Ohne seine und Tony Blairs Armeen, ohne ihre Entschlossenheit wären diese Szenen undenkbar. Der Erfolg verleiht ihrem rechtswidrigen Krieg eine Rechtfertigung, die ihnen die Mitglieder des Sicherheitsrats verweigert hatten. Aber er widerlegt nicht die Einwände. Die Massenvernichtungswaffen, deretwegen er angeblich geführt wurde, sind bis heute nicht gefunden worden. Auch der gute Ausgang macht den Rechtsbruch eines Krieges ohne UN-Mandat, den viele mit dem Leben bezahlt haben, nicht ungeschehen. Doch offenbar kann selbst ein falscher Krieg noch Gutes bewirken. Das ist eine verstörende Erfahrung für das alte Europa, das die Stabilität im Zweifel höher stellt als den Kampf gegen verbrecherische Regime.

Und dies alles geschieht an einem Tag, auch das darf man symbolisch nehmen, an dem das Europäische Parlament die Aufnahme von zehn Staaten in die EU beschließt, die sich vor einem guten Jahrzehnt von ihrer Diktatur befreiten. Staaten, die wegen ihrer Geschichte offener sind für den Gedanken demokratischer Intervention. Das neue Europa wird keine Politik unterstützen, die von Multilateralismus und den Vereinten Nationen als höchster Autorität spricht, aber die Eindämmung Amerikas meint und die UN dazu benutzt, nationale Machtinteressen durchzusetzen. Frankreich und Deutschland haben das bereits zu spüren bekommen.

Bald wird der Kampf beginnen, wer wie viel Einfluss auf die Nachkriegsordnung im Irak nehmen darf. Wer das Öl kontrolliert und über die Einnahmen verfügt, mit denen sich der Wiederaufbau bezahlen lässt. Der glückliche Ausgang des Krieges bietet Amerika und Europa die Chance, kompromissbereiter über die Nachkriegsordnung zu verhandeln. Bush hat den ersten Schritt getan und den UN eine wichtige Rolle angeboten.

Was der Irak jetzt aber am dringendsten braucht, können weder die UN noch Frankreich oder Deutschland gewährleisten: Sicherheit und öffentliche Ordnung. Die Bilder der ausgelassenen Freude dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, was dieser Tag der Befreiung auch mit sich bringt: Plünderungen, Chaos, Schrankenlosigkeit. Eine neue Ordnung können zunächst nur Bushs und Blairs Truppen herstellen. Und in welchem Geiste sie das tun, zeigte ein anderes bewegendes Bild: Da begrüßen westliche Kriegsgegner, die sich Saddam als „menschliche Schutzschilde“ zur Verfügung gestellt hatten, die Befreier mit dem Transparent „Geht heim, ihr US-…!“ Die Soldaten ließen es geschehen. Zur Freiheit, in deren Namen sie sich nach Bagdad gekämpft haben, gehört auch das Recht Andersdenkender, öffentlich ihre Meinung zu sagen.

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