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Politik: Das Schweigen der Lämmer

Von Axel Vornbäumen

Wer könnte sie nicht nachvollziehen, die innere Erregung, die dieser Tage Michael Buback ergriffen haben wird. Nach einer halben Ewigkeit, fast auf den Tag genau 30 Jahre nach dem Mord an seinem Vater, gibt ein ehemaliger RAF-Terrorist nun die Antwort auf die für ihn quälendste aller Fragen – die Antwort darauf, wer an jenem 7. April 1977 in Karlsruhe die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback abgefeuert hat. Das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock hat sein Schweigen gebrochen, der Todesschütze soll seiner Darstellung nach der frühere RAF-Kämpfer Stefan Wisniewski gewesen sein.

Mag sein, nun kommt endlich das sehnlichst erwartete Licht der Wahrheit ins Dunkel eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch der neue Lichtstrahl, der auf den Mord von Karlsruhe fällt, lässt auch erste Umrisse eines Skandals erkennen. Denn genau die Antwort, die der Sohn Bubacks nun erhalten hat, haben andere seit zweieinhalb Jahrzehnten per Protokoll in ihren Händen: Die ehemalige RAF-Kämpferin Verena Becker hat bereits Anfang der 80er Jahre dem Verfassungsschutz in einer konspirativen Wohnung in Köln den Tathergang geschildert. Der Verfassungsschutz aber hielt seine detaillierten Erkenntnisse unter Verschluss – weder spielten sie eine Rolle im Prozess von 1985 gegen Christian Klar, noch wurde das Verfahren gegen den bereits 1980 wegen des Buback-Mordes verurteilten Knut Folkerts wieder aufgenommen. Der bleiernen Zeit folgte das eisige Schweigen. Warum? Weil man den Schilderungen Verena Beckers keinen Glauben schenkte? Immerhin fand man bei der Festnahme Beckers, wenige Wochen nach dem Buback-Mord, die Tatwaffe. Eine Insiderin war die einstige RAF- Kämpferin allemal.

So viele Fragen. Und wenn die nun langsam durchsickernden Antworten nicht nur am Geschichtsbild kratzen? Es ist in diesen Tagen im Zusammenhang mit Gefahrenabwehr viel von der Unschuldsvermutung die Rede. Sie ist eines der höchsten Güter, die dieser Rechtsstaat hat. Sie sollte – für manchen womöglich schwer verdaulich – bezogen auf die Frage nach der konkreten Tat aber auch für putative Terroristen gelten. Was aber, wenn in der konspirativen Kölner Wohnung im Fall Folkerts aus der Unschuldsvermutung gar -gewissheit geworden ist? Dann wäre etwas faul in den Methoden der Terrorbekämpfung. Ein weiteres hohes Gut wäre auf der Strecke geblieben: die Wahrheit.

Die Aussagen Boocks werden die Debatte um die Historisierung der RAF neu befeuern. Die Terrorkämpfer von einst, die sich damals im Kampf gegen das System wähnten, haben schon aus biografischen Gründen ein Interesse daran, den Staat nicht als Unschuldslamm durchgehen zu lassen. Das mag ein Grund dafür sein, dass sich nun die Zungen lösen. Die Aussagen sind also mit gebotener Vorsicht zu Kenntnis zu nehmen.

Für Christian Klar sind die neuen Enthüllungen indes kein Schritt nach vorn. Seine Tatbeteiligung am Mord an Siegfried Buback ist noch einmal bestätigt worden: Er saß am Steuer des Fluchtautos. Eine lediglich minderschwere Schuld hat er nicht. Für Michael Buback ist der entscheidende Unterschied, dass Klar nicht geschossen hat. Der Bundespräsident aber kann sich bei seiner Gnadenentscheidung darauf nicht stützen.

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