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Der nächste Zug? Rüdiger Grube (rechts) hat in Ronald Pofalla womöglich seinen Nachfolger in den Bahn-Vorstand geholt.

© picture alliance / dpa

Deutsche Bahn: Das System Rüdiger Grube gerät durcheinander

Verspätete Züge, schlechter Service, Milliardenverluste – die Deutsche Bahn in der Dauerkrise. Einem konnte sie bisher nichts anhaben: Konzernchef Rüdiger Grube. Das kann sich bald ändern.

Michael Müller setzt seine Hoffnungen auf Ronald Pofalla. „Pofalla kommt vom Niederrhein“, sagt der CDU-Politiker und Fraktionsvorsitzende im Wuppertaler Stadtrat. „Man kennt sich im Rheinland.“ Persönlich hat Müller den Ex-Kanzleramtsminister zwar seit Jahren nicht getroffen. Aber er glaubt trotzdem daran, dass Pofalla seinen wachsenden Einfluss im Vorstand der Deutschen Bahn geltend machen wird.

Es geht um ein großes Bauvorhaben: den Umbau des Wuppertaler Hauptbahnhofs. 150 Millionen Euro haben Stadt und Land schon investiert, in Straßen, Plätze und Außenanlagen, doch die Bahn will mit der Entkernung des Gebäudes viel später als geplant beginnen, erst 2019. „Unglaublich arrogant“, findet man in der örtlichen CDU, dass der Staatskonzern über die Köpfe der Stadtoberen hinweg seine Investition verschoben hat. In einem Brief an Pofalla forderte Michael Müller kürzlich eine „neue Weichenstellung“. Eine Antwort blieb bis heute aus. Doch nach der Sommerpause rechnet Müller fest damit: „Herr Pofalla muss sich erst mal sachkundig machen.“

Tatsächlich ist Pofalla für die Bahnhöfe des Schienenkonzerns gar nicht zuständig. Sein Vorstandskollege Volker Kefer kümmert sich um die Infrastruktur – noch. Kefer, Vize von Vorstandschef Rüdiger Grube, will aufhören, wie er unlängst bekannt gab. „Er hat sich übernommen“, glaubt ein Aufsichtsrat. Grube hatte Kefer als Super-Vorstand installiert, verantwortlich für Infrastruktur, Dienstleistungen, Technik und das Umbauprogramm „Zukunft Bahn“. Als Kefer zugeben musste, dass das Großprojekt „Stuttgart 21“ 500 Millionen Euro teurer wird als geplant, knirschte es zwischen ihm und Grube. Weil auch der Konzernumbau nur langsam vorankommt, verlor Grube die Geduld. Kefer, sein potenzieller Nachfolger, gab auf.

Pofalla will Grube beerben

Seitdem ist der Weg frei für Pofalla – und im „System Grube“ gerät einiges durcheinander. „Pofalla hat nun einen Konkurrenten weniger“, sagt ein Aufsichtsrat der Eigentümerseite zum Machtkampf an der Konzernspitze. Der 57-jährige CDU-Politiker und Vorstand für Wirtschaft, Recht und Regulierung will sich nicht nur um Bahnhöfe kümmern, sondern gleich Chef der Deutschen Bahn werden – früher oder später. Pofalla, den Grube als obersten Lobbyisten mit kurzem Draht ins Kanzleramt holte, könnte früher als erwartet selbst an die Spitze des Staatskonzerns rücken.

Dabei würde Rüdiger Grube (64), der seit 2009 den Bahn-Konzern führt, gerne über das Jahr 2017 hinaus Vorstandschef bleiben. Ende kommenden Jahres läuft sein Vertrag aus, Ende 2016 muss der Aufsichtsrat über eine Verlängerung entscheiden, wenn der Zeitplan nicht durcheinandergeraten soll. Der Bund als Eigentümer macht eine Vertragsverlängerung von drei Zielen abhängig, die Grube bis Jahresende erreichen muss: kein Defizit, Pünktlichkeit und W-Lan in allen Zügen.

Wie prekär die Lage für Grube ist, wird sich an diesem Mittwoch zeigen, wenn er in Berlin die Halbjahresbilanz der Bahn präsentiert. Die großen Baustellen im Personenfern- und im Güterverkehr hat der hoch verschuldete Konzern noch nicht in den Griff bekommen. „Im Fernverkehr transportiert die Bahn mehr Fahrgäste, macht aber weniger Umsatz und Gewinn. Wenn das so weitergeht, wird man die Zukunftsaufgaben nicht stemmen können – Infrastrukturausbau, Fahrzeugbeschaffung, Bedienung aller Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern“, sagt Alexander Kirchner, Aufsichtsratsvize und Chef der Bahngewerkschaft EVG.

Wie die Eisenbahnergewerkschaft GDL mit ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky bereitet sich die EVG auf die nächste Tarifrunde im Oktober vor. Ein heißer Herbst mit Streiks und Verbalattacken ist zwar unwahrscheinlich. Doch alle haben noch die monatelange Schlammschlacht zwischen GDL und Bahn und die mühsame Schlichtung im vergangenen Jahr in Erinnerung. Ein ähnliches Szenario in diesem Jahr würde Grubes Position weiter schwächen. „Die öffentliche Stimmung wird gerade vor dem Wahljahr 2017 eine wichtige Rolle spielen“, sagt ein Aufsichtsrat. Selbst die moderate EVG verschärft den Ton: „Die Bahn fährt in eine Sackgasse. Das Geschäft wird immer schwieriger, zugleich will der Eigentümer Bund mehr Dividende“, sagt Alexander Kirchner. Einen Ausweg müsse die Politik finden, „sonst fährt das Unternehmen an die Wand“.

Einen möglichen Ausweg wies unversehens Ende vergangener Woche Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), dem man nicht nachsagt, ein gesteigertes Interesse am Thema Bahn zu haben. „Die Bahn muss ihren Gewinn nicht maximieren“, sagte Dobrindt am Freitagmorgen gut gelaunt bei einem Frühstück im ICE 908 auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg. Eine Sitzreihe hinter ihm hatte Grube Platz genommen. „Es ist besser, wenn Sie mich im Rücken haben als umgekehrt“, scherzte Dobrindt und setzte zu einer überraschenden, bahnpolitischen Wende an.

Die Bahn, die 2015 ein Defizit in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aufhäufte, dürfe zwar dauerhaft keinen Verlust machen, sie müsse aber neben den betriebswirtschaftlichen vor allem „gesellschaftliche Ziele“ erreichen: die Personenbeförderung, die Erschließung von Räumen und das Ermöglichen von Mobilität. „Das ist heute anders als früher“, betonte Dobrindt und verwies auf Optimierungsmanöver und Streckenkürzungen in der Vergangenheit. Ein Grund für den Paradigmenwechsel sei der „Finanzierungskreislauf“, der garantiere, dass Dividendenzahlungen der Bahn als staatliche Infrastruktur-Investitionen ins Unternehmen zurückflössen.

Die Opposition sieht unruhige Zeiten auf die Bahn zukommen

Die Deutsche Bahn, die einst an die Börse rollen sollte, kein gewinnmaximierender Konzern? Womöglich bald geführt von einem Ex-Politiker ohne Managementerfahrung? Einen Grund, sich zu entspannen, kann Rüdiger Grube darin nicht entdecken. „Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft, deren Auftrag es ist, sehr gute Produkte zu vernünftigen Preisen für unsere Kunden anzubieten – und damit gute wirtschaftliche Ergebnisse zu erreichen“, kontert Grube Dobrindt. „Gewinnmaximierung um jeden Preis wäre sicher ein Fehler.

Es wäre aber auch falsch, wenn wir mit dem Geldverdienen aufhörten.“ Wie solle die Bahn dann zum Beispiel neue Züge kaufen können oder ihre riesige Infrastruktur in Ordnung halten? Der frühere Daimler-Manager versteht sich als Industrieboss und nicht als Leiter einer Behördenbahn – ungeachtet der vielen Milliarden Euro, die der Bund jedes Jahr in den Erhalt der Infrastruktur steckt. Stünde hinter Dobrindts Vorstoß tatsächlich eine verkehrspolitische Wende der Bundesregierung, geriete die Bahn in eine Identitätskrise. Ein Unternehmen auf Sinnsuche.

Bahnpolitiker der Opposition sehen unruhige Zeiten auf den Schienenkonzern zukommen. Der „Burgfrieden“, der zwischen der amtierenden Bundesregierung und der Bahn-Führung bislang hielt, scheint brüchig geworden. „Das Unternehmen ist weder eine Staatsbahn noch ein frei agierender Konzern“, sagt Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Grube sei ein guter Manager, der aber auch „jedes andere x-beliebige Unternehmen so führen könnte, wie er die Bahn führt“. Nicht unbeliebt, im Ton verbindlich, moderierend: „Grube ist stets bemüht, allen ein Angebot zu machen, Arbeitnehmern und der Regierung“, sagt Gastel. Dabei verzettele er sich allerdings in den Details und handele am Ende zögerlich. Als Beispiele nennt der Politiker die unterschätzte Konkurrenz der Fernbusse oder die andauernden Serviceprobleme im Personenverkehr. „Grube erkennt die Notwendigkeiten zu spät.“

Im Aufsichtsrat, bei den Eigentümern wie auch im Arbeitnehmerflügel wird man ungeduldig. „Es wurde zu oft nicht geliefert, was der Vorstand angekündigt hatte“, heißt es. „Herr Grube und wir reden häufig von unterschiedlichen Dingen.“ Und an anderer Stelle: „Wir sehen nicht, dass die Bahn in der richtigen Richtung unterwegs ist.“ Zwar seien sinnvolle Maßnahmen angestoßen worden, mit denen die Qualität langfristig verbessert werden könne. Aber gerade beim Thema Pünktlichkeit, einem der größten Ärgernisse für die Kunden, gingen dem Bahn-Vorstand langsam die Argumente aus. „Streiks, Hochwasser, Eis, Schnee und Hitze taugen als Begründung für Verspätungen in diesem Jahr nicht mehr“, sagt ein Mitglied des Kontrollgremiums.

Grube ficht das nicht an. Im Zug von Berlin nach Hamburg gibt er sich am vergangenen Freitag zuversichtlich: „Ich mache mir keine Sorgen um meinen Vertrag, der noch anderthalb Jahre läuft. Ich konzentriere mich auf die zahlreichen Sachthemen, der Rest ist Sache des Aufsichtsrates.“ Klar ist: Wie lange der Vorstandschef noch eine Hauptrolle im System Bahn spielen darf, wird am Ende im Kanzleramt entschieden, Ende des Jahres, Anfang 2017. „Das steht an, wenn es ansteht“, sagt Verkehrsminister Dobrindt.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 26. Juli 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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