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Grün-Schwarz. Boris Palmer hat die CDU-Politikerin Julia Klöckner zu seiner Buch-Präsentation eingeladen.

© Kay Nietfeld/dpa

Flüchtlingspolitik: Das Vorwahldilemma der Grünen

Der grüne Tübinger OB Boris Palmer stellt sein Buch zum Thema Flüchtlinge vor. Es liefert ein Indiz dafür, warum die Grünen in den Umfragen schwächeln.

Von Antje Sirleschtov

So weit sind sie nun schon, die Grünen: Einer der Bekannteren unter ihnen, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, muss in Berlin öffentlich bekunden, dass er nicht vorhat, sein Parteibuch abzugeben. An diesem Donnerstag sitzt er neben der CDU-Politikerin Julia Klöckner und stellt sein neues Buch vor. „Wir können nicht allen helfen“, steht auf dem Buchdeckel. Palmer hat darin seine Erfahrungen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Baden-Württemberg zusammengetragen, und wenn man die 255 Seiten zusammenfasst, dann kommt eine Mischung aus „Wir müssen uns anstrengen“ und „Unsere Kräfte sind endlich“ heraus. Auf jeden Fall passen Palmers Thesen nur sehr schwer in die Programmatik seiner Partei. Nicht wenige Grünen-Freunde nutzten auch den Tag der Buchvorstellung wieder, um dem Tübinger mit sehr klaren Worten nahezulegen, sein Parteibuch am besten sofort abzugeben.

Zwischen sieben und acht Prozent

Womöglich ist der Streit über Palmer und sein Buch eines der Indizien dafür, was wenige Wochen vor der Bundestagswahl bei den Grünen los ist und weshalb ihre Umfragewerte – in den vergangenen Wochen zwischen sieben und acht Prozent – unter den Erwartungen liegen. Zumindest, wenn man die aktuellen Debatten und Themen in Betracht zieht.

Da wäre zunächst die Energie- und Verkehrswende. Seit Monaten tobt der Skandal um den Betrug an den Diesel-Fahrern und es wächst der Druck auf die Politik, im Interesse der Bewohner vor allem von Großstädten, sich stärker um die Luftqualität zu kümmern. Moderne Mobilität, die Zukunft von Elektroantrieben: klassische Themen, in denen man die Kompetenz der Grünen vermuten könnte.

Kompetenz kaum zu erkennen

Doch die Wähler konnten von dieser Kompetenz bisher offenbar kaum überzeugt werden. Erst liefern sich die Grünen bei der Erarbeitung ihres Wahlprogrammes eine Schlacht um die Ausstiegsdaten aus der Kohlestrom-Produktion und dem Verbrennungsmotor. Später bekennt sich der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, offen zum Diesel als sauberem Antrieb. Und auch nach dem Gipfel mit den Autokonzernen am Mittwoch senden die Parteioberen ganz unterschiedliche Signale. Auf der einen Seite Kretschmann, von dem jeder weiß, dass er die Interessen von Mitarbeitern und Zulieferern von Daimler im Auge behalten muss und daher findet, es sei etwas Gutes bei dem Gespräch von Politik und Autoindustrie herausgekommen. Und auf der anderen Seite Grünen-Chef Cem Özdemir, dem die Ergebnisse „zu spät und zu wenig“ sind und der nun eine „Zukunftskommission“ fordert, die den Weg in die moderne Mobilität weisen soll.

Bloß keine Verzichtsrhetorik

Die Grünen im Vorwahldilemma: Die Schwäche der SPD raubt ihnen die Bündnisoption mit den Sozialdemokraten, und die Aussicht auf Schwarz-Gelb oder (noch schlimmer) ein Jamaika-Bündnis mit Union und der FDP lässt weite Teile der Partei und vor allem der Anhänger erschauern. Wofür soll man aber am 24. September grün wählen? Eine überzeugende Antwort darauf fällt der Grünen-Spitze erkennbar schwer. Zumal Özdemir und seine Mit-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf nicht nur die Balance zwischen eher linkeren und eher konservativeren Positionen finden müssen, sondern auch zwischen ökologischen Träumen und Realitäten. Grüne Wähler sind ja bekanntlich nicht leicht zu durchschauen. Sie fahren ihre Kinder mit dicken Autos zur Schule, würden auf das Pausenbrot aber unter keinen Umständen Zutaten aus nicht ökologischem Anbau tun.

Für die nächsten Wochen heißt es also: Nichts schlimmer, als mit markigen Ausstiegsforderungen aus dem fossilen Zeitalter Pendler und all jene zu verprellen, die ihr Geld nicht mit Windrädern verdienen. Bloß keine Verzichtsrhetorik, das hat sich zumindest Özdemir vorgenommen, wenn er am 14. August in den Wahlkampf in Baden-Württemberg zieht. Und wie zum Beweis dafür bekennt er nach dem Auto-Gipfel: „Wir sind keine Fans von Fahrverboten.“ Ob so ein Satz aber einer Abstimmung in seiner Partei standhalten würde?

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