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Politik: Das Wort des Wählers

Kandidaten, Strategen und Meinungsforscher haben gesprochen – nun waren die Bürger dran.

Die USA haben sich am Dienstag auf eine lange Wahlnacht mit ungewissem Ausgang vorbereitet. Die Umfragen deuteten zwar überwiegend darauf hin, dass Präsident Barack Obama wiedergewählt würde und dass die parallele Kongresswahl den Status Quo bestätigen werde: Die Republikaner behalten die deutliche Mehrheit im Abgeordnetenhaus, die Demokraten verteidigen ihre knappe Mehrheit im Senat. Da das Land aber gespalten ist und die beiden Lager von ungefähr gleich großen Gruppen unterstützt werden, können bereits geringfügige Abweichungen im Wahlverhalten oder bei der Wahlbeteiligung zu einem anderen Endergebnis führen.

Fernsehstationen und Zeitungen gaben Ratschläge, worauf zu achten sei, um bereits vor dem Ende der Auszählung den Trend zu erahnen: Die Wahlbeteiligung, der Anteil der weißen Wähler im Vergleich zu Latinos und Afroamerikanern sowie das Verhältnis der Stimmen am Wahltag zu den bereits vorher abgegebenen Wahlzetteln geben Hinweise, wer vorne liegt.

Um von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, muss man sich in den USA vorab in die Wählerlisten eintragen. Das tun aber nicht alle Bürger. 2008 hatten 62,9 Prozent derer, die in den Wählerlisten stehen, ihre Stimme abgegeben. Wenn die Wahlbeteiligung gleich bleibt oder steigt, werde das Obama nützen, sagen die Experten; wenn sie sinkt, wachsen Mitt Romneys Chancen, Präsident zu werden. 2008 stellten weiße Amerikaner 74 Prozent der Wähler; sie stimmen überwiegend für die Republikaner, Latinos und Schwarze dagegen überwiegend für die Demokraten. Wenn der Anteil der Weißen auf 72 Prozent sinkt, deutet das auf einen Sieg Obamas hin; steigt er dagegen auf 76 Prozent, wird wohl Romney die Wahl gewinnen.

Möglich schien auch, dass die Wahlnacht in einer Hängepartie endet und am Ende Gerichte entscheiden, wer der Sieger ist wie im Jahr 2000 in Florida. Beide Parteien haben Rechtsanwälte in die entscheidenden Swing States wie Florida und Ohio beordert; es sind auch bereits erste Klagen anhängig. Die Demokraten beschweren sich darüber, dass die republikanischen Gouverneure dieser beiden Staaten die demokratischen Anhänger am Wählen hindern, indem sie die Öffnungszeiten der Wahllokale beschnitten haben, in denen man bereits in den Tagen zuvor seine Stimme beim so genannten „Early Voting“ abgeben konnte; von dieser Möglichkeit machen deutlich mehr Demokraten als Republikaner Gebrauch. Ein anderer Streitpunkt sind die Anforderungen, wie ein Wähler seine Identität nachweist, wenn er sich nicht in die Wählerlisten eingetragen hat, aber wählen möchte. Auch diese Anforderungen betreffen vor allem Anhänger der Demokraten. Die Republikaner sagen dagegen, die Demokraten beförderten den Wahlbetrug, indem sie Wähler mit fragwürdigen Papieren an die Urnen bringen.

Viele Zeitungen vermeldeten mit einer gewissen Genugtuung, dass die Entscheidung jetzt in der Hand der Bürger liege – und da gehöre sie auch hin. „Nun haben die Wähler das Wort“, titelte zum Beispiel die „Washington Post“. In den Wochen zuvor hatten neben den Kandidaten auch Wahlstrategen, Meinungsforscher sowie Interessengruppen und superreiche Einzelpersonen mit millionenschweren Anzeigenkampagnen und irreführenden Behauptungen versucht, die Stimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Insgesamt gaben die Spitzenkandidaten Barack Obama und Mitt Romney jeweils mehr als eine Milliarde Dollar für den Wahlkampf aus. Wenn man die Kosten der parallelen Wahlkämpfe für die 435 Abgeordnetenmandate und 33 Senatssitze sowie die Anzeigenkampagnen externer Unterstützerkomitees hinzuzählt, wurden mehr als sechs Milliarden Dollar in diesem US-Wahlkampf ausgegeben.

Eine Frage wurde am Dienstag in den USA immer wieder gestellt: Wie zuverlässig sind die Umfragen? Sollte die Wahl anders als prognostiziert ausgehen, werde ein Scherbengericht über die Demoskopen hereinbrechen, warnten Politikexperten. Die Insider wissen freilich, wie schwierig die Vorhersagen geworden sind, weil die Wahlbevölkerung und die technischen Gewohnheiten sich ändern.

Früher wurden die Telefoninterviews, auf denen die Umfragen basieren, grundsätzlich über Festnetzanschlüsse geführt. Wichtige Bevölkerungsgruppen haben heute aber Mobiltelefone. Wie ist die richtige Mischung? Für die Prognose des Wahlausgangs ist es wichtig, die Personen zu erreichen, die tatsächlich ihre Stimme abgeben. Das tun nicht alle Befragten. In Umfragen geben viele das jedoch nicht zu. Für solche Details haben die Demoskopen Korrekturmechanismen. Offen ist, ob sie die Realität des Wahljahrs 2012 abbilden.

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