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Debatte über die "Pegida"-Bewegung: "Unsere Muslime haben Angst"

Seit Oktober finden in Dresden jeden Montag Kundgebungen der "Pegida"-Bewegung statt. Zuletzt gingen dort 15.000 Menschen auf die Straße. Was bedeutet "Pegida" für Dresden und Deutschland?

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Was unternimmt Sachsens Politik gegen "Pegida"?

Die Lokal- und Landespolitik in Sachsen steht etwas ratlos vor den "Pegida"-Protesten in Dresden. Das Phänomen der selbst ernannten "Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes" sei bei einem Muslimenanteil von 0,4 Prozent in der sächsischen Landeshauptstadt nicht wirklich zu erklären, sagt Petra Köpping. Die SPD-Politikerin ist seit einem Monat Staatsministerin für Integration im Freistaat Sachsen. Sie soll sich um die insgesamt 88.000 Migranten (rund 2,2 Prozent von rund vier Millionen Sachsen) in ihrem Bundesland kümmern. Eigentlich, so der Plan, sollte Sachsen damit noch attraktiver für Einwanderer werden, vor allem die Hochqualifizierten unter ihnen. Nun muss sich Köpping um "Pegida" kümmern.

Seitdem sie im neuen Kabinett von Ministerpräsident Stanislav Tillich zur ersten Integrationsministerin in der Geschichte Sachsens ernannt wurde, lief Köpping jeden Montag zur Beobachtung neben dem "Pegida"-Marsch mit. Und jeden Montag sah sie mehr und mehr Menschen in der pittoresken Innenstadt Dresdens marschieren. Vor einer Woche waren es 15.000, an diesem Montag werden noch mehr Demonstranten erwartet.

Die Antwort auf "Pegida" liest Köpping aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag ab: "Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen, Sprachförderung von Migranten, Vermittlungsangebote in den ersten Arbeitsmarkt und Bildung, Bildung, Bildung." Doch Sachsen hat sich in der Vergangenheit nur wenig um den Themenbereich Migration gekümmert. Dass nun mehr Flüchtlinge ins Land kommen, ist deswegen eine besondere Herausforderung für die Landes- und Lokalpolitiker. Selbst in einer ganzen Legislaturperiode kann dieses Versäumnis nicht aufgeholt werden, so die Meinung bei "#nopegida", der Dresdener Gegenbewegung, die sich gegen "Rassismus in der Stadt" stellen möchte.

Warum laufen von Woche zu Woche mehr Menschen bei "Pegida" mit?

Geert Mackenroth amtiert seit weniger als einer Woche als Ausländerbeauftragter von Sachsen. Für den CDU-Politiker ist der Zulauf zu "Pegida" nicht rational zu erklären. Er erzählt von einem Beispiel aus Nünchritz. Bürger aus dem Ort bei Riesa hätten angekündigt, dass sie an diesem Montag bei "Pegida" mitlaufen wollen. Grund: Sie fühlten sich in Sachen Fluthilfefonds benachteiligt. Das habe nichts, auch rein gar nichts mit dem Islam oder Migranten zu tun, sagt Mackenroth. Die Menschen seien schlicht vom "System" enttäuscht. Er kenne sogar ein Noch-CDU-Mitglied, das als Organisator bei "Pegida" aktiv sei: "Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren."

Neben den "unappetitlichen Resten der NPD", die – nachdem sie aus dem sächsischen Landtag geflogen sind – nun auf rechtsextreme Opposition außerhalb des Parlaments setzten, liefen in Dresden auch andere rechte "Rattenfänger" bei "Pegida" mit, erklärt Mackenroth. Der Ausländerbeauftragte des Freistaates macht sich aber am meisten Gedanken über all diejenigen Bürger, die in diesen Menschen keine Gefahr erkennen und sich "Pegida" anschließen. "Wir müssen denen erklären, warum das falsch ist." Dialog, der nicht in Gängelung münde, sagt Mackenroth, sei nicht unanständig.

Als Köpping ihr erstes Interview dem MDR gab, ihr Regierungsprogramm und ihre Sicht auf "Pegida" zu erklären versuchte, bekam die 56-Jährige sehr viele Mails und Briefe von besorgten sächsischen Bürgern. "Es war viel Lob dabei, aber ein Drittel der Zuschriften waren anders", berichtet Köpping. Da war zum Beispiel ein ehemaliger Journalist. Er schrieb ihr, dass er seit Jahren am Existenzminimum lebe, sich weigere, Hartz IV zu beantragen. Er fühle sich alleingelassen, er traue dem "System" nicht mehr. Verzweiflung, diffuse Angst und viel Wut standen zwischen seinen Zeilen. Was das mit "Pegida" zu tun habe? Mit der "Islamisierung des Abendlandes"? Petra Köpping weiß es auch nicht.

Wie reagieren Muslime und Migranten auf "Pegida"?

Köpping war neulich bei der muslimischen Gemeinde in Dresden: "Unsere Muslime haben Angst", sagt sie. Mehr müsse sie nicht hinzufügen, die Bedrohung sei da, sie sei real. Muslime haben es in Sachsen in diesen Tagen nicht leicht. Obwohl sich auch viele weltoffene und tolerante Bürger bei ihr melden würden. So habe der Stadtrat von Radeberg im Landkreis Bautzen einstimmig beschlossen, dass "Flüchtlinge ausdrücklich willkommen seien". Viele Sachsen zeigten sich solidarisch mit den Muslimen im Land: "Diese Bürger sind meistens auch aufgeregt", sagt Köpping. Diese ganze Aufregung, scheint es, nimmt den wenigen Migranten in Sachsen nicht ihre Angst.

Was machen Journalisten mit Migrationshintergrund?

Anders reagieren da Migranten und ihre Nachfahren aus anderen Teilen Deutschlands. So veranstalteten am Freitag mehrere Journalisten mit Migrationshintergrund eine Performance in Dresden. Im Rahmen von "Hate Poetry" lasen Redakteure unter anderem der Wochenzeitung "Zeit", der "taz" und des "Spiegel" aus ihren skurrilsten Hassmails und Kommentaren vor. "Wir bekommen den Hass von ,Pegida‘ schon seit Jahren zu spüren", sagt Özlem Topcu, Redakteurin im Politikressort der "Zeit". Die Performance muss man sich so vorstellen wie eien klischeehaften deutschen Stammtisch. Nur dass die Parolen, die auf der Bühne geklopft werden, von echten Lesern stammen. Topcu wird regelmäßig aufgefordert, Deutschland zu verlassen, sie sei "ein muslimisches U-Boot der Lügenpresse", muss sie sich oft anhören. Auch die Mitte der Gesellschaft sei nicht sicher vor Ressentiments und Rassismus, sagt Topcu. Mit Satire und viel Humor versuchen die Journalisten, "den Hass in die ursprüngliche Umlaufbahn zurückzulenken". Die Eintrittskarten zu "Hate Poetry" in Dresden, im Mutterland von "Pegida", waren innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft. "Es gibt viele Dresdner, die ein Bedürfnis nach einem politischen Statement haben", sagt Topcu.

Schadet "Pegida" Dresden, Sachsen und Deutschland?

Helma Ulrike Orosz ist CDU-Oberbürgermeisterin von Dresden, noch bis Februar will sie die Geschäfte weiterführen. Aus gesundheitlichen Gründen tritt die 59-jährige Kommunalpolitikerin zurück. In den vergangenen Wochen lag auf ihr eine besondere Last, zusätzlich zu ihrer Krebserkrankung. Wegen "Pegida", so ist in ihrem Umfeld zu hören, musste sie um den Ruf ihrer Stadt regelrecht kämpfen. Am Ende, so scheint es, gab Orosz auf: "Ich kann nicht mit 15 000 Menschen reden", sagte sie auf einer Pressekonferenz. Eine Grundsatzrede zu "Pegida" im Rathaus von Dresden formulierte Orosz rund um den Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar". In Sachsen geht es seit "Pegida" um fundamentale Grundrechte und die Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens.

Es stehe deshalb außer Frage, dass das Image von Sachsen unter "Pegida" leide. Mackenroth spricht gerne in Redewendungen: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert", wann und wie der Imageschaden repariert werden könne, das weiß niemand in der sächsischen Politik. Seitdem internationale Korrespondenten nach Dresden geschickt werden, wirkt "Pegida" vielleicht größer, als es tatsächlich ist. "Ja, ,Pegida‘ ist kein Ruhmesblatt für Dresden und auch nicht gut für Sachsen", konstatiert Köpping nüchtern.

Wie reagieren die Bürger Dresdens?

"Worauf es jetzt im ,Abendland‘ ankommt: Ängste ernst nehmen – Not lindern, Weltoffenheit leben". Unter dieser Überschrift konnten die Dresdner Ende vergangener Woche eine große Anzeige in allen Dresdner Zeitungen lesen. Ein Statement der Bürger der sächsischen Landeshauptstadt gegen die "Pegida"- Demonstrationen. Mehr als 100 Wissenschaftler, Künstler, Politiker, Unternehmer und andere waren dem Aufruf einiger Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden gefolgt und hatten Geld gespendet – für die Zeitungsanzeigen und auch für Projekte zur Unterstützung von Flüchtlingen. Das Anliegen der Dresdner: Sie wollen "Pegida" etwas entgegensetzen. Namentlich genannt werden in der Anzeige unter anderem auch die Oberbürgermeisterin von Dresden, sächsische Landespolitiker und die Ehefrau des in Dresden lebenden Bundesinnenministers, Martina de Maizière. Thomas de Maizière (CDU) selbst ist dem Aufruf offenbar nicht gefolgt.

Zu der "Pegida"-Gegenbewegung gehören auch montägliche Demonstrationszüge, zu der die Bündnisse "Dresden für alle" und "Dresden nazifrei" seit Wochen aufrufen und an der sich zuletzt fast 6000 Menschen beteiligt haben. Außerdem gibt es immer mehr kleinere private Initiativen, die sich der "Pegida"-Bewegung entgegenstellen wollen. So werden Plakate an Theatern in Dresden aufgehängt, die die Stadt als weltoffen darstellen. Zudem wird Flüchtlingen Unterstützung angeboten.

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