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Kurze Rückkehr. In den vergangenen Tagen durften einige Bewohner der Sperrzone kurz in ihre Häuser zurückkehren. Dafür mussten sie Schutzkleidung tragen.

© AFP

Debatte um Atomkraft: Japan vor Wende in der Energiepolitik

Japan Premierminister Naoto Kan wirbt für erneuerbare Energien und Effizienz. Derweil musste die Fukushima-Betreiberfirma Tepco zugeben, dass der Reaktorkern des Blocks 1 des Anlagenkomplexes in Daiichi als "geschmolzen" gelten muss.

Berlin - So schnell wie die deutsche Regierung hat der japanische Premierminister Naoto Kan das Ruder in der Energiepolitik nicht herumgerissen. Aber die Schlussfolgerungen aus der Atomkatastrophe in Fukushima klingen bei Kan gar nicht so anders als bei Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ihrem Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Jetzt kündigte Kan ein „Überdenken“ der japanischen Energiepolitik an. Dabei will Japan an der Atomenergie festhalten. Doch den Plan, den Anteil der nuklearen Stromerzeugung bis 2030 auf 50 Prozent zu erhöhen, vor dem Erdbeben und Tsunami am 11. März lag er bei etwa 30 Prozent, hält Kan nicht mehr für realistisch.

Nur 20 Prozent des Stroms wollte Japan bis 2030 aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. Deutschland wollte schon mit der Neuformulierung des „epochalen“ (Merkel) Energiekonzepts aus dem vergangenen Herbst bis 2020 einen Anteil von 35 Prozent erreicht haben. Kan sagte in einer Grundsatzrede: „Die Energiepolitik der Vergangenheit hat die Atomenergie und fossile Energien als die zwei wichtigsten Säulen für die Stromversorgung gesehen.“ Doch als Folge aus dem andauernden schwerwiegenden Atomunfall in Fukushima will Kan zwei weitere „Säulen“ hinzufügen. Die Solar-, Wind- und Biomasseenergie solle eine „Hauptquelle“ für die Energieversorgung werden. Zudem plädierte er für die „Entwicklung einer Energiespargesellschaft, in der weniger Energie gebraucht wird als heute“. Auf dieser Basis solle neu überlegt werden.

Aktuell sind in Japan 14 Atomkraftwerke wegen des Erdbebens und Tsunamis nicht am Netz. Weitere 19 sind wegen Revisionsarbeiten oder aus Sicherheitsgründen heruntergefahren worden. Es ist also nur noch ein Drittel der Anlagen in Betrieb. Bis zum Sommer rechnet die japanische Atomindustrie damit, dass wegen der bis dahin anstehenden Brennelementewechsel und Reparaturen bis zu 75 Prozent der Kraftwerksleistung nicht zur Verfügung stehen dürften. Ein Kraftwerksblock ist am Freitag aber wohl dauerhaft abgeschaltet worden. In der vergangenen Woche hatte Naoto Kan die Stilllegung der Anlage in Hamaoka verlangt. Sie liegt genau auf einer Erdbebenspalte. Sollte dort wie in Fukushima eine Kernschmelze stattfinden, müsste die Hauptstadt Tokio evakuiert werden – was unmöglich sein dürfte. Die japanische Anti-Akw-Bewegung hat jahrelang vor Hamaoka gewarnt und bringt mittlerweile tausende Demonstranten auf die Straße. Der Betreiber Chubu Electric Power Company will die Reaktoren in Hamaoka allerdings noch nicht aufgeben. Er hat lediglich zugestimmt, sie vom Netz zu nehmen, bis die Sicherheitsvorkehrungen gegen Tsunamis verstärkt worden sind.

Derweil musste die Fukushima-Betreiberfirma Tepco zugeben, dass der Reaktorkern des Blocks 1 des Anlagenkomplexes in Daiichi als „geschmolzen“ gelten muss. Es seien offenbar fast alle Brennstäbe geschmolzen, jedoch am Boden des Reaktorsicherheitsbehälters inzwischen erkaltet, teilte die Firma mit. Allerdings hat die heiße Masse dabei wohl Löcher in den Reaktorsicherheitsbehälter geschmolzen, durch den ständig radioaktives Wasser herausläuft. Deshalb ist nun auch unklar, ob der Plan, ein neues Kühlsystem zu installieren, um eine dauerhafte Kühlung zu gewährleisten, überhaupt noch möglich ist. Die Atomaufsichtsbehörde Nisa äußerte am Freitag Zweifel an dem vor einem Monat von Tepco vorgestellten Konzept zur Krisenbewältigung.

Die Ortsdosisleistungen, also die Radioaktivität, die über die Luft beim Menschen ankommt, sind im Sperrgebiet um die havarierten drei Reaktoren und Brennelementebecken des vierten Blocks, in dem ebenfalls Kernschäden entstanden sind, seit etwa einem Monat stetig zurückgegangen. Das ist auch auf dem Anlagengelände so, wobei in einigen Zonen noch relativ hohe Werte gemessen werden. Doch in Gemüse und am Freitag auch in Teeblättern, die in der Nähe von Tokio geerntet wurden, werden zum Teil hohe Aktivitätswerte gemessen. Obwohl auch die im Meer vor Fukushima gemessenen Werte von Jod-131 und Cäsium-137 sich inzwischen in Grenzwertnähe eingependelt haben, hat Greenpeace etwa 40 Kilometer entfernt hohe Aktivitätswerte in Algen entdeckt. Die Algenernte soll in wenigen Tagen beginnen. Sie sind eine feste Größe auf dem japanischen Speisezettel.

Am Freitag beschloss die japanische Regierung, Tepco finanziell zu stützen, damit der Konzern die fälligen Entschädigungen an die rund 80.000 Menschen zahlen kann, die ihre Häuser verlassen mussten.

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