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Demografie: Wieder mehr Kinder in Deutschland

Der Geburtenrückgang in Deutschland ist vorerst gestoppt. Im ersten Quartal 2007 nahm die Zahl der Geburten um 0,4 Prozent zu. Allerdings: Die Deutschen sterben weiter aus - nur langsamer.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) darf sich freuen. Es kommen wieder mehr Babys auf die Welt, der massive Geburtenrückgang in Deutschland ist vorerst gestoppt. Das Plus von 600 zusätzlichen Kindern im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist in den Augen des Statistischen Bundesamtes zwar nur ein Zuwachs von 0,4 Prozent, den man "auf keinen Fall" kommentieren könne. Doch andere sind nicht so zurückhaltend. "Die Trendumkehr bei den Geburtenzahlen ist längst da", sagt Tusnelda Tivig, Wissenschaftlerin am Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels der dortigen Uni. Doch all zu viel Freude ist verfrüht, die Deutschen sterben weiter aus - nur langsamer.

Dafür, dass sich offenbar wieder mehr Frauen für ein Baby entscheiden, macht Tivig verschiedene "qualitative Faktoren" verantwortlich. So habe die Regierung eine ganze Reihe von Reformen zur Vereinbarkeit von Kindern und Beruf beschlossen und weitere zügige Reformen in Aussicht gestellt. Auch das im vergangenen Jahr von der Familienministerin durchgesetzte Elterngeld werde "ohne Zweifel einen Effekt haben". Doch wie groß der ist, werde sich erst in zwei bis drei Jahren zeigen, sagt die Wissenschaftlerin.

Drei Faktoren für den Stimmungswandel

Zu kinderfreundlichen Reformen kommt Tivig zufolge noch der wirtschaftliche Aufschwung, der den Frauen ein Gefühl von Sicherheit vermittele. Zudem habe die allgemeine Diskussion um die ökonomische Bedeutung von Kindern insgesamt einen Stimmungswandel ausgelöst. "Diese drei Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass schon längst mehr Kinder geboren werden", sagt sie. Weiterer Auslöser seien Kinder, die den Wunsch nach Kindern weckten. Fehlt Frauen dieses "Anschauungsmaterial, und wissen sie nicht, wie ein Baby riecht, lacht und wie es sich anfühlt, dann wird auch kein Kinderwunsch geweckt", sagt Tivig.

Auch die Zahlen der Wiesbadener Statistiker scheint dafür zu sprechen, dass die Talsohle beim Geburtenrückgang erreicht und womöglich durchschritten ist: Während im ersten Quartal 2005 das Minus im Vergleich zum Vorjahr noch bei 6100 Kindern lag, verlangsamte sich der Rückgang 2006 auf ein Minus von 2900 Babys und wurde nun mit 148.700 Geburten von Januar bis Ende März zu einem Plus von 600 Kindern.

Trendwende umstritten

Der Wissenschaftler Herwig Birg von der Uni Bielefeld sieht die Trendwende dagegen noch nicht. "Die Geburtenquote wird so lange niedrig bleiben, wie es eine erbarmungslose Konkurrenz um Arbeitsplätze gibt", sagt er. Zudem wird selbst eine Trendumkehr nicht ausreichen, um die mit der Vergreisung der Republik einhergehenden Probleme zu lösen. Selbst die erheblich positivere Geburtenziffer, von der die Rostocker Wissenschaftler im Gegensatz zum Statistischen Bundesamt ausgehen, ändert daran nichts. Tivig zufolge wird sich das Geburtenniveau in Deutschland bei 1,6 Kindern je Frau einpendeln. Es werde nicht bei dem Wert von 1,4 des Bundesamtes bleiben, weil die Behörde bei ihren Berechnungen die künftig ansteigende Zahl älterer Mütter nicht richtig berücksichtigt habe.

Doch ob weiter 1,4 oder künftig 1,6: Die Deutschen sterben auf jeden Fall aus, zumindest so lange die Geburtenquote unter dem Wert von 2,1 bleibt. Diese Zahl wurde 2004 in Europa nur von der Türkei mit 2,2 Kindern je Frau erreicht. In Island und Irland lag sie bei 2,0, gefolgt von Frankreich mit 1,9 und mit 1,8 in Dänemark, Finnland und Norwegen. Schlusslicht mit dem Wert 1,2 sind Länder im Umbruch wie Polen, Lettland und Tschechien. In Deutschland jedenfalls müssten selbst bei der günstigen Annahme der Rostocker die 600 zusätzlichen Frühjahrsbabys noch immer die Soziallasten von rund 300 Rentnern schultern. Sagen muss man ihnen das aber noch nicht.

Jürgen Oeder[AFP]

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