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Nur bei wenigen Großereignissen - der Fußball-WM, dem Eurovision-Songcontest - entsteht kurz so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit. In der Politik gibt es sie nicht.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Demokratie und Medien: Europa braucht einen europäischen Medienfonds

Europas Demokratie funktioniert nicht, weil es keine europäische Öffentlichkeit gibt. Unsere Gastautoren schlagen vor, einen Europäischen Medienfonds zu gründen.

Irgendwann wird die Griechenland-Krise vorbei sein. Aber für Europa wird damit die Krise noch lange nicht vorüber sein. Denn diese Krise ist nur vordergründig eine ökonomische, im Kern ist es eine ausgewachsene Identitätskrise.

Ob das vergangene Wochenende die ökonomische Krise entschärft hat, werden wir in den kommenden Monaten sehen. Zugespitzt hat sich aber die Identitätskrise. Die schlechte Nachricht ist, dass sich Identitätskrisen viel schwieriger lösen lassen als ökonomische. Denn dazu braucht es neben Zahlen auch Fingerspitzengefühl, Geduld und vor allem ein gesundes Verständnis von sich selbst und seinem Umfeld.

Europa fehlen eine gemeinsame Öffentlichkeit und europäische Medien

Wir haben zwar eine europäische Währung, eine gemeinsame Agrarpolitik, eine gemeinsame Handelspolitik und wir haben EuroVision und Champions League. Aber gerade was die Reflexion von politische Fragen betrifft, sind wir gefangen in nationalen Filterblasen, in denen wir europäische Themen wir Euro, Datensicherheit, Energie, Arbeitslosigkeit, Steuerhinterziehung usw. aus nationaler Sicht, mit nationalen Akteuren und Interessen aufarbeiten und konsumieren. Da ist es kein Wunder, dass die Deutschen ein ganz anderes Bild von der Schuldenkrise haben als Griechen oder Franzosen. Und so verhindern nicht nur ganz konträre Ansätze eine Lösung der Krise, sondern vor allem die Unfähigkeit, die Perspektive der anderen Europäer zu verstehen.

Wenn wir also vorankommen wollen bei der Lösung der europäischen Krise, müssen wir an der Identität ansetzen, um ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Europäische Identität ist aber nichts Naturgegebenes oder lässt sich alleine durch Instrumente wie eine EU-Staatsbürgerschaft erreichen, wie es Dennis Lichtenstein formuliert. Europäische Identität ist vielmehr sozial konstruiert, das heißt, sie wird von jedem von uns, von Akteuren der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur genauso gebildet, wie von europäischen Themen und Medien.

Europäische Identität formt sich in öffentlichen Kommunikationsprozessen in Europa. Deshalb braucht es eine Öffentlichkeit, in der man sich und seine Ideen mit anderen vergleicht, debattiert, voneinander lernt und damit gemeinsame Wege findet, die aus der Identitätskrise führen. Aber eine europäische Öffentlichkeit, mit europäischen Medien, die Ereignisse aus europäischer Sicht reflektieren und bewerten, die haben wir noch lange nicht.

Wie aber schaffen wir eine Öffentlichkeit als Kernelement einer funktionierenden europäischen Demokratie?

Wie aber schaffen wir eine europäische Öffentlichkeit als Kernelement einer funktionierenden europäischen Demokratie? In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern sprechen wir unseren nationalen Medien eine spezielle Aufgabe zu: Sie besitzen einen gesellschaftlichen und demokratisierenden Auftrag. Sie sollen dem Gemeinwesen dienen und werden deshalb als öffentliches Gut verstanden. Dies gilt sowohl für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk als auch für private Medien, die neben dieser Aufgabe natürlich auch einen individuell-ökonomischen Auftrag besitzen. Um dies aber leisten zu können, benötigen Medien eine doppelte Unabhängigkeit: eine redaktionelle und eine wirtschaftliche. Doch gerade die wirtschaftliche Seite ist in der Krise, da die Medien sich schwer tun, ein funktionierendes Geschäftsmodel für das digitale Zeitalter zu finden. Und diese Krise gefährdet natürlich auch die redaktionelle Freiheit. In den Nationalstaaten sehen wir dies sowohl bei den privaten Medien als auch bei den öffentlich-rechtlichen, wie die jüngste Debatte über Osborne’sche Sparrunden bei der BBC zeigen.

Trotz dieser wirtschaftlichen Krise und nach langen Jahren des Klagens über rückläufige Verkaufszahlen und bröckelnde Medienhäuser, gibt es nun auf einmal eine ganze Reihe von spannenden Ideen und Initiativen, die die Aussicht bieten, ein Geschäftsmodell für den Journalismus im digitalen Zeitalter zu entwickeln, verbunden mit der realen Möglichkeit, sozusagen durch die Hintertür, nationalen Filterblasen zu entkommen. Denn eine wunderbare Eigenschaft von Digital ist es eben, nationale Schranken spielerisch zu ignorieren und damit eine ideale Basis für eine transnationale Öffentlichkeit zu schaffen.

Dass man mit journalistischen Inhalten ‚User’ halten und gewinnen und mit diesen dann schöne Profite machen kann, haben jetzt fast zeitgleich die ganz großen Internet-Giganten erkannt und eigene Medieninitiativen gestartet. Ähnlich wie bei der Musik wollen sie den Markt der etablierten Player aufrollen und die entscheidende Infrastruktur schaffen, über die die Nutzer journalistische Inhalte konsumieren.

Facebook und Google machen vor, wie man im Netz User für Journalismus gewinnt

Facebook hat mit ‚Instant Articles‘ eine neue Initiative gestartet, durch die sie journalistische Inhalte von großen Medienhäusern, u.a. der BBC und des "Spiegel", direkt auf Facebook einspielen und somit potentiell Zugang zu fast 1,5 Milliarden Menschen schaffen. Damit wird für viele Menschen Facebook der primäre Nachrichtenkanal, während traditionelle Medienhäuser zu Zulieferern werden. Ähnliches plant Apple mit seinem neuen Service ‚Apple News‘, der ab Herbst über IOS 9 als Bezahlformat angeboten wird und den man sich wie Spotify für News vorstellen kann. Und auch Google hat den Wert des Journalismus für sich entdeckt. Aber anders als Facebook und Apple hat sich Google dazu entschieden, keinen eigenen Nachrichtenkanal aufzumachen, sondern den europäischen Medienhäusern beim Übergang ins digitale Zeitalter mit Rat, Tat und Geld zu helfen. Durch ihre Digital News Initiative stellt Google 150 Millionen Euro für Projekte des neues Denkens im digitalen Journalismus zur Verfügung. Auch diese Initiative wird in Kooperation mit acht großen Medienhäusern gemacht, u.a. "F.A.Z." und "Die Zeit". Nicht viel Geld für Google, aber für europäische Medien ist es eine ganze Menge, wenn man das Geld clever als digitales Start-up-Kapital einsetzt.

Es gibt also Bewegung im Medienmarkt. Und wenn man für einen Moment mal die offenen Fragen rund um Datenmonopole, Datensicherheit, Meinungspluralität außen vor lässt, können diese und andere Initiativen nicht nur dazu beitragen, dass die Medien ein nachhaltiges digitales Geschäftsmodell finden, sondern eben auch dazu, dass dadurch ganz neue Möglichkeiten und Formen für eine europäische Öffentlichkeit entstehen, durch die wir dann besser gewappnet sind für die Überwindung der jetzigen und künftiger europäischer Krisen.

Aber wo sind die Europäer? Warum machen wir das nicht selbst?

Die Treiber dieser Journalismus 4.0-Initiativen kommen aber alle aus dem Silicon Valley. Fair enough könnte man sagen. Aber hier geht es nicht nur um digitale Innovationen und Wettbewerb von Ideen, sondern um höchst sensible Fragen wie Medienfreiheit, Identität und Öffentlichkeit, und auch um Datensicherheit und Datenmonopole.

Statt unsere Zukunft als Zulieferer von Plattformen aus dem Silicon Valley zu verscherbeln, sollten wir eigene europäische Medieninitiativen durch eine smarte Innovations- und Industriepolitik fördern, damit gleichzeitig europäische Datenstandards durchsetzen und die so notwendige europäische Öffentlichkeit fördern.

Ganz konkret sollte die Europäische Kommission einen Europäischen Medienfond gründen, der - vielleicht ganz ähnlich wie die Google Digital News Initiative -, neue Ideen fördert, die europäische Medien fit machen für das 21. Jahrhundert, aber auch mit dem expliziten Ziel eine europäische Öffentlichkeit als Teil einer europäischen Demokratie zu schaffen.

Der Medienfond soll innovative und zukunftsfähige Medienprojekte in Europa finanzieren, die die vielfältigen Chancen und Herausforderungen der digitalen Revolution für die Medien gestalten. Er soll sowohl für etablierte Medienhäuser und die öffentlich-rechtlichen Medien offen stehen als auch Neugründungen finanzieren.

Die Europäische Kommission sollte einen Europäischen Medienfonds gründen

Das Förder-Portfolio des Medienfonds sollte vielfältig sein: Es reicht von der Förderung von Qualitätsjournalismus mit Aus- und Weiterbildungsprojekten, Recherchestipendien, der Etablierung von Recherche- und Korrespondenten-Netzwerken bis hin zur Finanzierung von innovativen Formaten, die den Dialog zwischen Bürgern und den europäischen Institutionen fördern. Gleichzeitig soll der Europäische Medienfond Impulse in der europäischen Medien und digitalen Governance setzen und Expertise zu Fragen der digitalen Infrastruktur und den gesellschaftlichen Chancen und Risiken der digitalen Revolution entwickeln und in die öffentliche Debatte bringen.

Das gemeinsame Ziel, das alle geförderten Projekte verfolgen sollen, ist die Etablierung einer europäischen öffentlichen Debatte. Die Projekte sollen als als Agenda-Setter und Debattenplattformen dienen, gesellschaftliche Partizipation in Europa stärken und Transparenz in politische und ökonomische Zusammenhänge der EU bringen. Das wäre viel mehr als digitale Industriepolitik. Das wäre ein Airbus Projekt für europäische Öffentlichkeit. Bei Google hieße so etwas "Moonshot Projekt".

Genau mit diesem Geist sollten wir Europäer es angehen.

Andre Wilkens ist der Autor von „Analog ist das neue Bio“, das im Frühjahr im Metrolit Verlag erschienen ist. Markus Rhomberg ist Professor für Politische Kommunikation an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.  

Andre Wilkens, Markus Rhomberg

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