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Wieder wurde in Brasilien protestiert. Nur dieses Mal nicht ganz so stark wie vor einigen Wochen.

© AFP

Demonstrationen gegen Korruption: Brasiliens Bewegung bröckelt

Die erneuten Demonstrationen in Brasilien sind viel kleiner ausgefallen als erwartet. Die Demonstranten am Sonnabend störten Militärparaden - die Militärpolizei schritt brutal ein.

Es scheint, als ob die Zeit der großen Märsche in Brasilien vorbei ist. Zum Unabhängigkeitstag am Sonnabend - gefeiert wird die 1822 errungene Unabhängigkeit von Portugal - wollte die junge brasilianische Protestbewegung noch einmal Hunderttausende wenn nicht gar Millionen Menschen auf die Straßen des Landes bringen. Der gemeinsame Nenner der Demonstrationen: gegen die Korruption und für die sinnvolle Verwendung von Steuergeldern sowie ein demokratischeres politisches System. Doch dann strömten in mehr als 140 Städten nur einige Zehntausend Menschen zusammen. Vielerorts, etwa in Rio de Janeiro, kam es dabei schon am Morgen zu Störungen der offiziellen Militärparaden, die in diesem Jahr stark reduziert worden waren und nur auf geringes Interesse der Bevölkerung stießen.

Bei den Märschen im Anschluss fanden dann traditionelle Gruppen wie Gewerkschaften, linke Parteien und soziale Bewegungen mit jungen Autonomen zusammen. Noch während der Demonstrationen entwickelten sich dabei fast überall im Land schwere Auseinandersetzungen mit der Militärpolizei, die wie schon bei den Massenprotesten im Juni martialisch und brutal auftrat, dabei aber ihre fehlende Organisation nicht kaschieren konnte. Einerseits wirkt sie mit ihren Waffen, schwarzen Autos, Masken und Motorrädern wie das Instrument eines totalitären Staates – ihre Wurzeln reichen in die Jahre der Diktatur (1964-1985) zurück; andererseits hat man den Eindruck, es mit Amateuren zu tun zu haben, die beim geringsten Anlass, wahllos eine Unzahl von Tränengasgranaten und Schockbomben abfeuern und die Stimmung aufheizen.

Die regelmäßig in Krawall mündenden Demonstrationen mögen ein Grund dafür sein, dass viele Brasilianer am Sonnabend zuhause geblieben sind. Denn obwohl die Proteste seit Juli aus den deutschen Medien verschwunden sind, haben sie doch nie aufgehört, sind bloß geschrumpft und stärker auf lokale Themen konzentriert. In Rio de Janeiro ging es etwa wochenlang gegen die unausgewogene Besetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zur unter Korruptionsverdacht stehenden Vergabe der Buslizenzen. Diese Proteste endeten regelmäßig in Tumulten.

Ein weiterer Grund, warum die Demonstrationen am Sonnabend schwächer als erwartet besucht wurden, ist sicherlich die Fragmentierung der Protestbewegung. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren die Black Blocs, eine vermummt auftretende Gruppe, die sich den Anarchismus auf die schwarzen Fahnen geschrieben hat und Gewalt gegen Sachen propagiert. Drei ihrer Mitglieder wurden vor wenigen Tagen wegen des Verdachts auf Bildung einer bewaffneten Vereinigung in Präventivhaft genommen. Die Maßnahme wirkt allerdings lächerlich im Hinblick auf die Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die illegal in Brasilien operieren: von der Holzmafia im Amazonas über die Drogengangs in den Städten bis hin zu den erpresserischen Polizeimilizen in zahlreichen Vororten.

Im Internet ist hingegen die Anonymous-Bewegung am sichtbarsten – die es dem einfachen Brasilianer jedoch schwer macht, sich mit ihr zu identifizieren. Es zeigt sich die Schwäche einer Bewegung, die Institutionen, Persönlichkeiten und den Dialog mit der als moralisch verkommen empfundenen politischen Klasse grundsätzlich ablehnt und es versäumt hat, Strukturen aufzubauen.

Dennoch sagen fast 90 Prozent der Brasilianer, dass sie die Forderungen der Proteste unterstützen. In der Zustimmung kommt ein generelles Unwohlsein mit den Zuständen in Brasilien zum Ausdruck, das zwar eine der sechs größten Wirtschaftsnationen der Welt ist, seinen Bürgern aber Zustände wie in einem Entwicklungsland zumutet. Brasilien leistet sich nach den USA das zweitteuerste Parlament der Welt mit unzähligen Privilegien, Posten und Pöstchen; gleichzeitig liegt der Durchschnittslohn eines Lehrers bei umgerechnet rund 350 Euro. Dementsprechend miserabel ist das öffentliche Schulsystem. In Rio, wo ihr Durchschnittsgehalt rund 700 Euro beträgt, befinden sich die Lehrer deswegen schon seit Wochen im Streik.

Präsidentin Dilma Rousseff, die trotz ihrer Zweckallianz mit den konservativen Eliten des Landes, den Forderungen der Demonstranten am nächsten zu stehen scheint, sagte schon vor den Demos: „Die Brasilianer haben jedes Recht, empört zu sein.“ Das Problem der Protestbewegung ist, dass Empörung und ein generelles Unbehagen die Brasilianer nicht dazu motivieren, einen sonnigen Samstagnachmittag im Tränengasnebel zu verbringen.

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