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Politik: Der Akten nächster Akt

Aus, Ende, Akte zu. Der Schlussstrich unter der Aufarbeitung der DDR-Diktatur wurde in Berlin gezogen und trägt die Unterschriften geschichtsblinder Richter.

Aus, Ende, Akte zu. Der Schlussstrich unter der Aufarbeitung der DDR-Diktatur wurde in Berlin gezogen und trägt die Unterschriften geschichtsblinder Richter. So sehen viele Menschen, vor allem im Osten, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Umgang mit Helmut Kohls Stasi-Akten, die nun Verschlusssache bleiben. Ist da wirklich ein historischer Versuch gescheitert? Nein - der Versuch dauert an. Und wie er weitergehen soll, muss jetzt diskutiert werden. Mit offenem Ergebnis.

Das Urteil betrifft nicht alle, sondern nur eine der drei Kernaufgaben der Behörde. Es lässt die beiden anderen unberührt: die Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit und Akteneinsicht für Stasi-Opfer. Wie wichtig die dritte Aufgabe ist, die Herausgabe von Akten von Funktionären und Prominenten, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander unter Bürgerrechtlern, Politikern, Journalisten und Historikern. Kein Wunder, denn hier zählen Interessen. Berechtigt ist der Wunsch nach Offenlegung, aber nicht immer ist er allein auf ein vollständiges Geschichtsbild und das Gemeinwohl gerichtet. Festzuhalten bleibt: Die Herausgabe von Prominenten-Akten wird nicht unmöglich gemacht, sondern eingeschränkt. Genauer: Eingeschränkt wurde nicht das Stasi-Unterlagengesetz, sondern das, was die Behörde daraus gemacht hatte. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, das Gesetz regle die Aktenfreigabe gegen den Willen Betroffener in irgendeiner Weise unklar. Es ist hier eindeutig. Akten Bespitzelter sind tabu, wenn die nicht zustimmen.

Allerdings hat die Behörde schon zu Zeiten des früheren Leiters Joachim Gauck eine andere Auffassung vertreten, hat sich darüber hinweggesetzt, wie es auch Marianne Birthler tun wollte. Beide, Gauck und Birthler, halten eine umfängliche Veröffentlichung der Stasi-Hinterlassenschaft für den eigentlichen Sinn des Gesetzes. Beide haben so, mit besten Absichten, etwas Falsches getan: Sie haben den zweiten Sinn des Gesetzes gering geschätzt, den Opferschutz.

Die Debatte darüber, was das Parlament ursprünglich einmal gewollt hat, ist müßig, weil niemand dies mehr abschließend feststellen kann. Entscheidend ist, was das Parlament heute will. Es spricht nichts dagegen, das Stasi-Unterlagengesetz nach mehr als einem Jahrzehnt einer gründlichen Inspektion auf Ziele, Ergebnisse und Konsequenzen zu unterziehen. Das wird mit Gesetzen viel zu selten getan, und nötig ist es gerade bei diesem. Ein Unbehagen dabei, illegal gesammelte Informationen öffentlich zu machen und gegen jemanden zu verwenden, ist kein falsches Gefühl - bei allem Respekt vor den Menschen, die unter der Stasi gelitten haben. Das Parlament sollte sich nicht im Jahr 2002 von ihm frei machen, wo es dies damals, mitten im Umbruch, auch nicht getan und die Behörde deshalb zu striktem Opferschutz verpflichtet hat.

Die Abgeordneten sollten sich auch jetzt auf ihr Gefühl verlassen, damit sie mit Wut und Enttäuschung der Opfer so verständnisvoll umgehen wie mit dem Wunsch der Täter nach Verzeihen und Vergessen. Es ist möglich, dass sie dann zu neuen Schlüssen kommen, etwa bei der Regelanfrage für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Rechtliche Imperative gibt es hier nicht. Anders ist dies im Fall der Funktionäre und Prominenten. Hier sollte der Gesetzgeber behutsam sein, damit sein Vorhaben im Rahmen der Verfassung bleibt. Er sollte das höchste Gericht in Karlsruhe nicht in die Rolle des Buhmanns drängen, die zurzeit das oberste Verwaltungsgericht in Berlin spielen muss. Das Gesetz zu den Stasi-Unterlagen kann man verändern - erweitert werden sollte es nicht.

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