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Politik: Der Anti-Pirat

Hubert Aiwanger ist der Königsmacher von Bayern. Ohne seine Freien Wähler können künftig wohl weder SPD noch CSU regieren

Ein Mann will nach oben. Hubert Aiwanger hat es schon bis in den vierten Stock des bayrischen Landtags geschafft. Hier sitzt er, der Chef einer Zehn-Prozent-Partei, in einem schmalen Konferenzraum und plant den weiteren Aufstieg. Er ist kein Umstürzler, aber mit seiner Partei, den Freien Wählern (FW), kann er die Machtverhältnisse in Bayern auf den Kopf stellen. Er nennt sich selbst „Robin Hood der bürgerlichen Mitte“.

Aiwanger, 40 Jahre, diplomierter Bauer, ist ein kühler Analyst der neuen politischen Verhältnisse im Land. Manchmal, wenn er spricht, wischt er mit dem ganzen Arm über den Tisch, als wolle er wegräumen. Und ein bisschen hat er das auch auf der großen Politbühne. Er sieht dort den Verlust an Glaubwürdigkeit, und angespornt vom Erfolg der Piraten in Berlin hat er seinen Plan neu justiert, ausgeweitet und gerade von einem Bundesparteitag absegnen lassen. Aiwanger soll die Freien Wähler 2013 erneut in den bayrischen Landtag führen – und in den Bundestag.

Aiwanger sagt: „Wir treten bundesweit an, weil wir in Bayern bewiesen haben, dass wir die Allmacht der großen Parteien brechen können. Die Arroganz der CSU, den Staat und die Bürger als Beute zu betrachten, finden sie auch in der Bundespolitik. Aber die Leute lassen sich nicht mehr belügen.“

Wenn er so redet, denkt man: Hoppla, was will der jetzt?! Die Republik erlebt ja gerade das Aufblühen einer anderen Partei, jung, unverbraucht, lernbegierig. Und dann sieht man Aiwanger im dunklen Anzug und feiner Krawatte, die Stirn hoch, die Schuhe blank geputzt, und der redet davon, dass die Freien Wähler staatstragend seien. Aber bevor man Aiwangers Aufstiegsplan für verrückt erklärt, muss man wissen, dass auch er sein Piratenhandwerk versteht. Er kann entern.

Er ist der Mann, der den Mythos CSU versenkt hat, er ist bei der letzten Landtagswahl in Bayern mit über zehn Prozent ins Maximilianeum eingezogen, erstmals in der Geschichte des Freistaats brauchte die CSU einen Koalitionspartner – und hat die FDP genommen, weil es mit den Freien Wählern zu unbequem geworden wäre. Horst Seehofer hat im engsten Kreis vor Aiwanger gewarnt, vor dessen Talent. Dann sind Seehofers Leute rausgegangen und haben versucht, den Freien fertigzumachen.

Sie wollten ihn und die anderen Freien Wähler verunsichern, demoralisieren. Sie haben ihn verhöhnt und verspottet, haben seinen niederbayrischen Dialekt, das kantige O statt des langen A, verlacht und gerufen, „red Deutsch“, als er zum ersten Mal im Landtag sprach. Die CSU wollte ihn zum Dorfdeppen stempeln, denn er kommt ja vom Dorf, aus Rottenburg an der Laaber, Landkreis Landshut. Aber jetzt schaut es sehr danach aus, als ob dieser Hubert Aiwanger, auch bundesweit Chef der Freien Wähler, der Königsmacher in Bayern ist.

Alle schauen in Bayern auf die SPD, weil Münchens populärer Bürgermeister Christian Ude als Gegenkandidat von Horst Seehofer antreten will. Aber die CSU kann Ude 2013 nur mit den Grünen und den Freien Wählern gemeinsam stürzen, die CSU wiederum kann ohne FDP auch nur noch mit den Freien Wählern an der Macht bleiben, denn mit Grünen und SPD kann oder will sie ja nicht.

Aber nun ist Aiwanger unsicher geworden, seit dem Erfolg der Piratenpartei treibt ihn die Sorge, seine Freien Wähler könnten bundesweit zu spät kommen, um in die Lücken zu schlüpfen, die die etablierten Parteien ihnen lassen. Noch ist nicht ganz klar, wohin diese Republik treibt, aber sie ist politisch in Bewegung. Das hilft Parteien wie den Piraten oder den FW. Und seit Stuttgart 21, der verhinderten Hamburger Schulreform oder auch den Anliegen der Berliner Flugroutengegner und Unterstützer des Wasservolksentscheids ist klar: Viele Bürger sind bereit, sich wenigstens wieder dort einzubringen, wo Politik sie direkt betrifft. Und wo sie das Gefühl haben, die etablierten Parteien entscheiden über ihre Köpfe hinweg.

Was das für das Parteiensystem bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Aber die Halbwertszeit parteipolitischer Himmelsstürmer wie die der FDP 2009 oder auch jetzt der Grünen wird geringer. Und der Anteil der Wähler, der bei den sogenannten „Sonstigen“ landet, nimmt zu. Ein großes, unbekanntes Reservoir, aus dem die Piraten und die Freien Wähler schöpfen wollen. Wenn sie es schaffen, werden sie den Etablierten wirklich gefährlich.

Die Freien Wähler wirken im Vergleich zu den Piraten angepasst, sie repräsentieren ein Milieu von dem die FDP immer sagt, das seien die Menschen, die den Karren ziehen. Aiwanger sagt ganz bewusst, dass er auch in die Mitte wolle, weil ja dort die meisten enttäuschten Bürger seien. Die Mitglieder der FW entstammen dieser Mitte, es sind Ärzte, Handwerker, Lehrer, Landwirte. Es gibt kein eindeutiges Milieu wie bei den Piraten, aber am ehesten passten die FW als liberaler Ersatz für eine marginalisierte FDP. Allerdings sind sie nicht nach dem Schema links-rechts einzuordnen. Sie sind in Bayern beispielsweise strikt gegen eine dritte Startbahn am Flughafen. Andererseits waren sie die Ersten, die die Einführung der elektronischen Fußfessel forderten. Und sie sind, ganz die Anti-Piraten und insofern wieder anti-liberal, für mehr Kontrolle im Internet.

Viele Forderungen, die Aiwanger stellt, sind nicht neu: familiengerechte Bildung, keine Studiengebühren, mehr Ganztagsschulen, weniger Steuern, weniger Bürokratie, schnelle Internetanschlüsse für ländliche Regionen und mehr Selbstbestimmungsrechte für den ländlichen Raum. Was anders ist, ist der Anspruch von Unabhängigkeit, der einhergeht mit der Forderung nach einem Verbot von Großkonzernspenden, die bei den etablierten Parteien üblich sind.

Trotzdem klingt es extrem wenig nach Widerstand, wenn Aiwanger sagt: „Wir wollen im Bund Brückenbauer sein, damit unsere Demokratie wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnt. Wer mit uns koaliert, bekommt Verlässlichkeit und politische Vernunft, denn wir wollen als verantwortungsvolle Bürger helfen – das ist unser Selbstverständnis. Konstruktiv und pragmatisch.“

Anders als die Piraten haben die Freien Wähler eine wirkliche Machtbasis, nicht nur in Bayern, sondern in vielen Kommunen und Gemeinden des Landes. Allein in Bayern stellen die Freien Wähler rund 600 Bürgermeister, auch in Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt sind sie in den Kommunen stark vernetzt. Bei der Kommunalwahl in Hessen erreichten sie jüngst 5,7 Prozent, bei den Landtagswahlen 2009 in Thüringen 3,9 Prozent, ansonsten aber sind die Erfolge auf Landesebene bescheiden. Das beste Ergebnis in diesem Superwahljahr war Sachsen-Anhalt mit 2,8 und Rheinland-Pfalz mit 2,3 Prozent. Immerhin mehr als die FDP in Berlin.

Die renommierten Wahlforscher sehen die Entwicklungspotenziale der FW allerdings skeptisch. Richard Hilmer von Infratest dimap sagt: „Die Freien Wähler haben keinen einzigen Themenbereich auf sich zugeschnitten. Zuletzt in Bayern wurde der Partei nur in einem Bereich erkennbare Kompetenz zugeschrieben: bei der Förderung des ländlichen Raums. Das dürfte für einen bundesweiten Auftritt zu wenig sein.“

Aber die FW sind entstanden aus dem Widerstand gegen die CSU. Es hat also schon einmal funktioniert. Aiwangers politische Sozialisation entspringt diesem Widerstand, das wird deutlich, wenn er erzählt, wie er in seinem Heimatort mit ansehen konnte, dass sich die Leute der CSU, jahrzehntelang an der Macht, persönlich bedient hätten. Aiwanger hat sich umgeschaut und bei den Freien Wählern, wie er sagt, „vernünftige, verantwortungsvolle und sozial sehr engagierte Leute entdeckt“. Er redet viel von „Vernunft“, „Verantwortung“, „Hilfsbereitschaft“. Er meint das ehrlich, er war immer Schulsprecher und hat geholfen, und jetzt ist er Parteisprecher und will helfen. Sein Begriff von Solidarität stammt aus der Dorfgemeinschaft. „Auch in unserer Familie war es üblich, dass jeder so viel beigetragen hat wie er konnte und sich keiner mehr genommen hat als er unbedingt brauchte. Ich finde dieses Prinzip richtig. Genauso benötigt auch unsere Gesellschaft wieder mehr gegenseitige Rücksichtnahme.“

Die sozial Engagierten imponieren ihm, und die Freien Wähler haben ihm so sehr imponiert, dass er 2002 nicht nur dort gelandet ist, sondern schnell Karriere machte. Zu Hause bewirtschafteten fortan seine Eltern den eigenen Hof, weil er, der noch Single ist, kaum Zeit hatte. 2004 wurde er Kreisvorsitzender, zwei Jahre später Landeschef. Die Freien Wähler waren zwar fast überall, aber niemand habe sie vernetzt, sagt er rückblickend. Aiwanger hat es getan, und 2008 haben sie in Rottenburg an der Laaber die CSU abgewählt und gedemütigt: 31 Prozent CSU, 47,2 Prozent FW.

Nun sind diese Piraten in Berlin aufgetaucht, und die sind noch viel besser vernetzt. Zumindest im Netz. Und selbst in Bayern stehen sie aktuell bei vier Prozent. Sie machen Aiwanger nervös. Sie könnten ihn wertvolle Stimmen kosten. Er weiß noch nicht, wie ernst er die nehmen soll. Er überlegt, was er sagen kann, er hat gelernt, charmant zu attackieren, also sagt Aiwanger: „Das Unkonventionelle verbindet uns mit der Piratenpartei. Wie wir bringen die frischen Wind, und wie die können auch wir viel Spaß haben. Aber wir wollen keine Revolution, unsere Inhalte sind staatstragend, bürgernah und nachhaltig, wir sind das echte, menschliche Sprachrohr der kleinen Leute, die Piraten sind nur digital.“

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