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Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Position der Bundesregierung mitformuliert.

© action press/Chris Emil Janssen

Der Asylstreit spaltet die Grünen: „Die Politik der Mauern und Zäune ist nicht unsere Politik“

Noch bevor die EU-Innenminister in Luxemburg über die künftige Asylpolitik verhandeln, rebelliert die Basis der Grünen gegen den Kurs der Parteispitze.

„Liebe Annalena, lieber Robert, liebe Lisa, liebe Ricarda, lieber Omid, liebe Katharina, liebe Britta“, beginnt der Brief der Grünen-Basis. Doch dann ist es auch schon vorbei mit den Nettigkeiten für die Partei-, Minister-, und Fraktionsspitze. „Erschüttert“ sei man von der Bundesregierung, die sich „nicht annähernd“ an den Koalitionsvertrag halte und eine „Moria-Verordnung“ beschließen könnte. Es ist eine verbale Ohrfeige von mehr als 730 Unterzeichnern.

Kurz vor dem Treffen der EU-Innenminister brodelt und rumort es in der Partei. Denn in der möglichen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS), über das die EU-Staaten verhandeln, sehen viele Grüne eine Asylrechtsverschärfung, die nicht mit den Werten der Partei vereinbar sei. Besonders die Asylverfahren an den Außengrenzen, mögliche Inhaftierungen von Minderjährigen und die Ausweitung von sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sorgt für Ärger an der Basis.

„Es wäre naiv und geschichtsvergessen, Minderheitenrechte in Krisenzeiten einzuschränken“, heißt es in dem Brief der Basis, für den erst seit dem Wochenende Unterschriften gesammelt wurden. Vor allem für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist die Sache pikant, schließlich hat ihr Haus federführend eine gemeinsame Position der Bundesregierung formuliert. Doch die sei wenig ambitioniert, finden weite Teile der Partei - auch einige Prominente: Zu den Unterstützern zählen beispielsweise die Hamburger Justizsenatorin oder der Sprecher der Grünen Jugend.

Wenn EU-Länder die libysche Küstenwache finanzieren, hat das nichts mit einem echten Solidaritätsmechanismus zu tun.

Karoline Otte, Grünen-Abgeordnete, kritisiert die Asyl-Pläne der EU.

Und Sympathie für die Basis-Kritik kommt auch aus der Bundestagsfraktion. „Das Grundrecht auf Asyl gehört geschützt, die EU ist aber dabei, es zu missachten“, sagt Karoline Otte. Die Grünen-Abgeordnete sieht im Agieren der Ampel-Regierung einen Bruch des Koalitionsvertrags. „Ich stehe einigermaßen fassungslos vor der Verhandlungsposition der Bundesregierung. Wie soll da noch etwas rumkommen, was nicht vollständig gegen unsere Grundüberzeugen steht?“ Es gebe Handlungsbedarf, etwa bei einer fairen Verteilung der Geflüchteten, findet Otte. Doch die Vorschläge der EU lehnt sie ab: „Wenn EU-Länder die libysche Küstenwache finanzieren, hat das nichts mit einem echten Solidaritätsmechanismus zu tun.“

Wie Otte kritisieren mehr als 30 weitere Abgeordnete von Grünen und SPD eine mögliche Reform des GEAS. „Die Politik der Mauern und Zäune ist nicht unsere Politik“, heißt es in dem Statement, das ebenfalls am Dienstag bekannt wird. Einer der Unterzeichner ist Kassem Taher Saleh, der selbst 2003 mit seiner Familie aus dem Irak nach Deutschland floh. „Der aktuelle Vorschlag wird nichts an den vielen Toten im Mittelmeer und auf den Fluchtwegen ändern“, sagt er dem Tagesspiegel. Es brauche sichere Fluchtrouten und eine staatliche Seenotrettung.

Sogar die Inhaftierung Minderjähriger scheint in Brüssel schon beschlossen zu sein

Doch diese Position scheint in Europa weit entfernt von einer Mehrheit. Und angesichts hoher Flüchtlingszahlen, stark belasteter Kommunen und den bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen sehen sich die Spitzengrünen in der Pflicht, wenigstens in Brüssel zu verhandeln.

„Wir wollen nach jahrelangem Stillstand, Rechtsverstößen und teilweise menschenunwürdigen Zuständen endlich das Leid an den Außengrenzen lindern und Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Lösung gehen“, sagt Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, dem Tagesspiegel.

Wie schmal der Grat für die Grünen ist, scheint ihr bewusst. Die Verhandlungen seien „extrem schwierig“ und man teile die Sorgen derer, die das Recht auf Asyl als ein Grundrecht hochhalten, betont Haßelmann und zieht vorab rote Linien: „Für uns haben der Zugang zum individuellen Recht auf Asyl und die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention und der Kinderrechtskonvention sowie vulnerabler Gruppen eine absolute Priorität. Insbesondere Kinder brauchen Schutz.“

Doch, so hört man aus den Vorverhandlungen aus Brüssel, selbst die Inhaftierung Minderjähriger scheint schon beschlossene Sache zu sein. Nach dem Ärger um das Heizungsgesetz könnten auch die kommenden Wochen für die Grünen schwierig bleiben.

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