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Politik: Der Blockierer, nun enthemmt Von Tissy Bruns

Oskar Lafontaines Kampfansage an Gerhard Schröder ist ein Dokument politischer Heuchelei, das in PolitikSeminaren zum Thema Demagogie eingesetzt werden sollte. Denn Lafontaine hat damit seinen Sinn dafür bewiesen, wie Wahrheiten und Zuspitzungen dosiert werden müssen, um eine politische Debatte zu befeuern.

Oskar Lafontaines Kampfansage an Gerhard Schröder ist ein Dokument politischer Heuchelei, das in PolitikSeminaren zum Thema Demagogie eingesetzt werden sollte. Denn Lafontaine hat damit seinen Sinn dafür bewiesen, wie Wahrheiten und Zuspitzungen dosiert werden müssen, um eine politische Debatte zu befeuern. Wer diese Kunst beherrscht, kann ein charismatischer Politiker werden, wie Willy Brandt. Oder ein Volksverführer, dem Menschen folgen, weil er gezielt an ihre Ängste und Unsicherheiten rührt. Lafontaine macht sich auf, die Rolle des Demagogen zu besetzen.

Die Kampfansage ist ernst zu nehmen, anders als vorhergegangene Versuche des Saarländers, wieder einen politischen Platz zu finden. Dabei darf man die Schuldzuweisungen an Schröder für Lafontaines Rücktritt im März 1999 getrost ignorieren. Sie sind nur unappetitlich, weil jeder weiß, dass damals von beiden Seiten regelwidrige Tritte unter dem Tisch ausgeteilt worden sind. Der Kampf von Willy Brandts Enkeln um den Platz an der Spitze war von der normalen Unmoral, die man in den höheren Sphären der Politik gelegentlich antrifft – für die aber unsichtbare Grenzen gelten.

Es gebe eine Sache, die größer ist als wir selbst, hat der unglückselige Rudolf Scharping nach seinem Sturz als SPD- Chef in Mannheim gesagt. Wenn Spitzenpolitiker um ihrer persönlichen Macht willen die Sache opfern, für die sich viele tausend Menschen engagieren, dann ist diese Grenze überschritten. Diesen Vorwurf macht Oskar Lafontaine dem Bundeskanzler. Ein vernichtendes moralisches Urteil. Aber vernichtend und moralisch muss Lafontaine werden, um seine Rolle in einer künftigen Linkspartei politisch zu legitimieren.

Lafontaines Demagogie hat eine vordergründige Wirkung; perfider aber ist die untergründige Qualität. Über den Zustand der SPD muss nicht mehr viel gesagt werden: höchste Not, mit Hartz IV erst recht. Bei den September-Wahlen droht ein ostdeutscher Erdrutsch zu Gunsten der PDS, in Nordrhein-Westfalen lässt die Bonner Oberbürgermeisterin auf ihren Wahlplakaten das Partei-Logo weg. Im Saarland hat Spitzenkandidat Heiko Maas wenig Chancen. Jetzt macht ihm sein wichtigster Mit-Wahlkämpfer, der selbst gern kandidiert hätte, das Leben noch schwerer.

Damit ist man bei der untergründigen Demagogie Lafontaines: Den Zustand, den er von hoher moralischer Warte beklagt, hat er selbst mitzuverantworten. Schröders Regierung konfrontiert das Land mit einem Reformprozess, der auch deshalb schmerzt, weil er viele Jahre zu spät kommt. Dazu hat kein anderer in der SPD so tatkräftig beigetragen wie Lafontaine, wider besseres Wissen. Denn der Nachwuchs-Star, der in den 80ern in seiner Partei noch das „neue Lied vom Teilen“ singen wollte, zog aus seiner Wahlniederlage 1990 den Schluss, dass die Deutschen niemanden an die Macht lassen, der ihnen ökonomische Wahrheiten sagt. Deshalb hat die SPD ihre Selbstreformierung in der Opposition verweigert, ist die rot-grüne Bundesregierung völlig unvorbereitet angetreten.

Es gehe ihm um den Kurs, sagt Lafontaine. Und attackiert einen Bundeskanzler und eine SPD, die endlich einmal zu einem Kurs gefunden haben. Lafontaine könnte Erfolg haben, weil viele die Lasten der Reformen fürchten. Wünschen darf man das diesem Land nicht, denn dann bleiben alle auf der Verliererstraße, auf die uns anderthalb Jahrzehnte Reformverweigerung gebracht haben.

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