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Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel befindet sich in türkischer Untersuchungshaft.

© dpa

Der Fall Deniz Yücel: Eine Botschaft der Türkei an alle ausländischen Journalisten

Deniz Yücel sitzt wie mehr als 150 weitere Journalisten in der Türkei wegen seiner Arbeit in Haft. An seinem Fall könnte ein Exempel statuiert werden.

Von seiner Zelle in der Untersuchungshaft im Metris-Gefängnis von Istanbul aus kann Deniz Yücel möglicherweise das Rauschen der nahen Autobahn hören, die aus der türkischen Metropole hinaus Richtung Westeuropa führt. Doch auf die Freiheit wird der 43-jährige Korrespondent der „Welt“ nach Einschätzung seiner türkischen Unterstützer trotz aller Proteste der Bundesregierung wohl noch lange warten müssen. Dem erwarteten Einspruch von Yücels Anwälten gegen die U-Haft werden kaum Chancen gegeben. Die inzwischen bekannt gewordenen konkreten Vorwürfe gegen den Journalisten verdeutlichen laut türkischen Regierungskritikern zudem, dass am Fall Yücel ein Exempel statuiert werden soll.

Im Metris-Gefängnis saßen in den vergangenen Monaten auch andere Journalisten ein, die wegen ihrer Arbeit inhaftiert wurden. Viele der mehr als 150 inhaftierten Berichterstatter in der Türkei sind ohne Prozess und sogar ohne Anklage hinter Gittern. Der Fall der Brüder Ahmet und Mehmet Altan, die seit fast einem halben Jahr ohne Anklageschrift im Gefängnis sitzen, wird jetzt vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg aufgegriffen. Türkische Regierungsgegner werfen den Behörden eine Hexenjagd auf Andersdenkende vor, bei der rechtsstaatliche Prinzipien über Bord geworfen werden.

Auch im Fall Yücel sehen Regierungskritiker viel Willkür im Spiel. Rund vier Stunden dauerte die Vernehmung des Reporters durch den Haftrichter am Montag. Am Ende sei der Reporter sehr niedergeschlagen gewesen, sagt der Oppositionspolitiker Sezgin Tanrikulu, der Yücel den ganzen Tag beigestanden hatte. „So schnell kommt er wohl nicht wieder raus“, sagte Tanrikulu am Dienstag dem Tagesspiegel. „Seine Inhaftierung ist eine Botschaft an alle ausländischen Journalisten in der Türkei.“

Erst ganz am Ende der auf 14 Tage befristeten Polizeihaft sei der deutsch-türkische Reporter vom Staatsanwalt vernommen worden, betonte Tanrikulu. „Dabei hätte er schon am ersten Tag freigelassen werden müssen.“ Nun werde es innerhalb einer Woche wahrscheinlich einen Einspruch der Verteidiger von Yücel geben. „Aber wenn der neue Richter keine anderslautende Weisung erhält, ist es unwahrscheinlich, dass er anders entscheidet als der erste.“

Yücel gilt der türkischen Justiz als mutmaßlicher Terrorhelfer

Schließlich gilt Yücel der Justiz als mutmaßlicher Terrorhelfer. Wie die türkische Nachrichtenagentur DHA meldete, wurde der Journalist bei der Befragung durch den Haftrichter mit einigen seiner Artikel konfrontiert. Ein Interview mit PKK-Kommandeur Cemil Bayik wurde ihm laut DHA als Beitrag zur Legitimierung der Kurdenrebellen ausgelegt, ein zitierter Witz über Kurden und Türken als Volksverhetzung. Der Hinweis auf fehlende Beweise für den Vorwurf Ankaras, der Prediger Fethullah Gülen habe den Putschversuch vom vergangenen Sommer organisiert, wurde als Propaganda für eine Terrororganisation gedeutet.

Yücel wies vor dem Richter alle Vorwürfe zurück und betonte, er liebe die Türkei „trotz aller ihrer Fehler und Mängel“. Er habe keine Anweisungen von irgendeiner Gruppe erhalten. Doch die Verteidigungsrede nützte ihm nichts. Sollte Yücel aufgrund der Vorwürfe verurteilt werden, müsste er nach dem Antiterrorgesetz bis zu siebeneinhalb Jahre im Gefängnis bleiben.

Politische Proteste aus Deutschland könnten dem Reporter kaum helfen, sagte Tanrikulu. Bundeskanzlerin Angela Merkel führe zwar die EU-Regierung mit dem größten Einfluss auf die Türkei. „Aber wenn Merkel wirklich etwas ausrichten könnte, wäre Deniz nicht in Haft gekommen“, sagte der Politiker der säkularen Oppositionspartei CHP.

Selbst in Reihen der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan macht sich allerdings Unbehagen breit. Mustafa Yeneroglu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, kritisierte die Entscheidung des Haftrichters im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. In regierungsnahen politischen Kreisen in der Türkei hieß es, Yücels Inhaftierung sei übertrieben. „Da war jemand päpstlicher als der Papst.“ Von einer gezielten Botschaft des türkischen Staates an alle Auslandsjournalisten im Land könne aber keine Rede sein.

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