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Sebastian Edathy vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.

© dpa

Der Fall Sebastian Edathy: Einer lügt - nur wer?

Sebastian Edathys Auftritte in der Öffentlichkeit sind oft abstoßend, selbstgerecht. Aber macht das seine Darstellungen gleich unglaubwürdig? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Grund sich zu verstecken hat Sebastian Edathy um kurz vor Mitternacht nicht. Selbstbewusst schreitet er zu den Mikrofonständern vor der Wand des Deutschen Bundestages, fast so als sei er selbst Mitglied des Untersuchungsausschusses. Ist er aber nicht. Im Gegenteil. Sebastian Edathy wird der Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen und der Ausschuss soll klären, ob der ehemalige Bundestagsabgeordnete über mögliche Ermittlungen gegen ihn gewarnt und fortlaufend informiert wurde.

Gab es also einen Informanten aus dem Bundeskriminalamt, der Partei oder der Justiz? Hat jemand Dienstgeheimnisse verraten und sich so strafbar gemacht? Und hatte Edathy dadurch die Möglichkeit, wichtiges Beweismaterial zu vernichten? Edathy selbst hat den SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann als Informanten entlarvt, und der habe ihm gegenüber den ehemaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke als Quelle genannt. Hartmann bestreitet das, Ziercke auch. Edathy ist sich seiner Sache sicher: "Das, was ich dargestellt habe, entspricht den Tatsachen."

Nach seinem kurzen Statement bleibt Edathy am Rand stehen und verfolgt die Statements seiner Ex-Kollegen, wie sie sich winden um eine Deutung, die entweder in die Parteilinie passt oder einigermaßen zu dem, was sie in der rund zehnstündigen Befragung am Donnerstag gehört haben. Edathy verfolgt die Einlassung mal mit zerknirschtem Gesicht, mal mit einem Blick an die Decke, meist aber mit einem süffisanten Lächeln, vor allem als Uli Grötsch, SPD-Obmann im Ausschuss, behauptet, Edathy sei wenig glaubwürdig. Grötsch hatte keine gute Figur in der Befragung gemacht: umständlich, etwas naiv und nur mit einem sehr offensichtlich erkennbaren Ziel - seine Partei zu schützen. Nur als Eva Högl, die Ausschussvorsitzende und ehemalige Kollegin im NSU-Untersuchungsausschuss an die Mikrofone tritt, wendet sich Edathy demonstrativ ab und verschwindet.

Er ist zufrieden mit sich und dem Verlauf der Dinge - und das stellt er zur Schau. Am Anfang hat es in seiner Vernehmung noch stark geholpert. Immer wieder muss sich Edathy räuspern. "Vielleicht weniger rauchen", merkt er an. Doch inhaltlich stolpert er nicht. Aber auch die Aussagen von Jörg Ziercke und Michael Hartmann decken sich. Am Ende könnte es deshalb so sein, wie Eva Högl es in der Nacht zum Freitag prophezeit: "Ob wir der Wahrheit wirklich nahe kommen, werden wir sehen." Natürlich sind die Zeugen vor dem Ausschuss zur Wahrheit verpflichtet, wer falsch aussagt, muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Nur, dafür muss man denjenigen erstmal der Falschaussage überführen - und das könnte in diesem Fall schwer werden.

Die Rolle von Michael Hartmann steht jetzt im Fokus

Fakt ist: einer der Beteiligten lügt. Denn das Edathy einen Informanten hatte, ist offensichtlich. Lügt also Jörg Ziercke? Das ist nach dem gestrigen Tag der unwahrscheinlichste Fall. Sein Auftritt war mit einigen Abstrichen der klarste, überzeugendste. Seine Motivationslage lässt nicht darauf schließen, dass er Edathy auch nur annähernd hätte helfen wollen. Nebulös bleibt einzig das Telefonat mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Wenn er am Ende wirklich gesagt haben sollte, dass er die von Oppermann vorgetragenen Schilderungen zu Edathy nicht dementieren könne, wäre das schon eine andere Qualität als seine Aussage vor dem Innenausschuss, dass er dies nicht "kommentieren" könne.

Lügt also Edathy? Natürlich traut man es ihm zu. Ein Mann, der auf Facebook schreibt, sein Vorsatz für das neue Jahr laute: "Allen aufs Maul, die es verdient haben." Als Racheakt oder gar als Androhung körperlicher Gewalt will er das natürlich nicht verstanden wissen, behauptete er im Ausschuss am Donnerstag. Sein Auftritt ist häufig selbstgerecht, überheblich und von einem völlig überzogenen Selbstbewusstsein geprägt. Dass er bis heute nicht ein Wort der Entschuldigung an die Opfer von Kinderpornografie richtet, ist abstoßend. Dass er sich aber all seine Darstellungen nur ausgedacht und dafür sogar mehrere Personen in Mithaftung nimmt, wie beispielsweise seinen Anwalt, ist schon schwerer vorstellbar.

Der zeitliche Ablauf der Informationsweitergabe an Edathy spricht dafür, dass es tatsächlich eine Quelle bei der Polizei, dem BKA oder vielleicht doch der Justiz geben könnte. Das muss aber nicht zwingend Ziercke gewesen sein. Bleibt Michael Hartmann. Sein Auftritt im Dezember war der bisher am wenigsten überzeugende. Er hat Widersprüche offenbart, Erinnerungslücken. Gleichzeitig hat er es schwer, etwas zu beweisen, was möglicherweise gar nicht gab - die Weitergabe von Informationen an Edathy. Deshalb wird der Ausschuss sich nochmal mit ihm beschäftigen müssen - auch wenn die SPD versucht, dies abzuwenden.

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Genau das ist neben der schweren sachlichen Aufklärung, das zweite Problem des Ausschusses: Jedes Mitglied versucht, sein parteipolitisches Süppchen zu kochen. Die SPD will ihre Parteispitze aus der Schusslinie und Edathy als Lügner entlarven. Das erste Ziel funktioniert derzeit einigermaßen, aber an der Entlarvung Edathys müssen sie noch arbeiten. Die CDU wiederum fokussiert sich jetzt auf Niedersachsen. Das hätte für die Christdemokraten den Vorteil dem SPD-Innenminister Boris Pistorius eins auszuwischen, ohne den Koalitionspartner im Bund direkt anzugreifen. Linke und Grüne wiederum haben natürlich die große Koalition, speziell die SPD, im Blick.

Verlierer, das muss allen bewusst sein, ist am Ende nicht nur der eine mögliche Lügner. Die politische Glaubwürdigkeit aller Akteure steht auf dem Spiel. Edathy ist das vermutlich egal, weil er raus ist aus dem System - das macht ihn einerseits unberechenbar, aber andererseits auch gefährlich. Vor allem dann, wenn er weiter keine Risse und Lügen in seiner Argumentation offenbart.

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