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Politik: „Der Frust ist riesig“

Die rot-grüne Bundesregierung gibt sich nach Bushs Wiederwahl betont optimistisch, doch die Basis leidet

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Berlin - Offenherzige Urteile rot-grüner Minister über George W. Bush sind in den Augen des Kanzlers kein hilfreicher Beitrag zur Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Als Außenminister Joschka Fischer am Mittwoch vor den Kabinettskollegen einen Zwischenstand der US-Wahlergebnisse abgab, unterband Gerhard Schröder sofort jede Debatte: Zu groß war die Gefahr, dass sich am nächsten Tag despektierliche Zitate aus dem Kreis in den Zeitungen wiedergefunden hätten.

Auch auf kritische Worte der Fraktions- und Parteivorsitzenden wartete die rot-grüne Basis vergeblich. Nahezu einhellig betonte die Führungsriege die Chancen auf bessere Beziehungen zu den USA in Bushs zweiter Amtszeit. Tenor: Der alte und neue Präsident sei zur Zusammenarbeit mit den Verbündeten in Europa gezwungen.

Die eigentliche Stimmungslage in den Parteien und Fraktionen geben die diplomatischen Erklärungen nicht wieder. Deren Empfindungen trifft der stellvertretende SPD-Fraktionschef Michael Müller, der das Wahlergebnis ganz offen eine „Katastrophe“ nennt. Die Amerikaner hätten in vollem Bewusstsein einen „religiösen Fundamentalisten“ zum Präsidenten gewählt, klagt der SPD-Linke. „Man kann jetzt nicht mehr so tun, als sei das nur Bush.“ Amerika habe sich für ein Modell entschieden: „Alles, was Stärke ausmacht, ist gut und muss mit aller Macht durchgesetzt werden.“ Dass Bush in seiner zweiten Amtszeit mehr Wert auf Zusammenarbeit mit den Europäern legen könnte, wie manche in der Koalition hoffen, hält Müller für unwahrscheinlich. „Warum sollte Bush sich ändern – er kann sich ja jetzt bestätigt sehen.“

An der Grünen-Basis ist die Enttäuschung offenbar genauso groß. „Der Frust ist riesig“, sagt der Tübinger Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann. „Alle haben gehofft, dass das amerikanische Volk den Kriegspräsidenten abwatscht.“

Womöglich gibt es für die rot-grüne Spitzenriege mehrere Gründe, Bushs Wiederwahl eher optimistisch zu sehen – und wahrscheinlich sind nicht alle frei von Eigennutz. „Es gibt die lautere Erwartung, dass wir nun Kontinuität haben und Bush auf wichtigen Feldern die Zusammenarbeit mit den Verbündeten suchen muss“, heißt es in Fraktionskreisen. Daneben herrsche aber auch „unlautere Freude darüber, dass dieser Koalition das Feindbild Bush erhalten bleibt“.

Dabei beschränkt sich die tiefe Skepsis gegenüber dem Amerika George Bushs keineswegs auf die Koalition. Auch in der Union gibt es eine Kluft zwischen den offiziellen Reaktionen und der tatsächlichen Gefühlslage. Während Parteichefin Angela Merkel und Außenpolitiker Friedbert Pflüger den Schulterschluss mit den USA einfordern, sind viele Abgeordnete innerlich längst vom großen Verbündeten abgerückt. „Wenn die Amerikaner einen außenpolitischen Vorschlag unterstützen“, berichtet ein CDU-Abgeordneter, „fasst die Fraktion das Thema nur noch mit ganz, ganz spitzen Fingern an.“

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