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Politik: Der General als Politiker

Das Militär in der Türkei sieht sich noch immer als Aufpasser für die Regierung

Hilmi Özkök ist kein begnadeter Redner. Monoton liest er seine Ansprachen vom Blatt ab, ohne rhetorische Glanzlichter zu setzen. Und doch hörte die ganze Türkei gespannt zu, als der Chef der türkischen Armee kürzlich in der Istanbuler Kriegsakademie unter einem riesigen Bild des Staatsgründers Atatürk eine Grundsatzrede hielt. In dem 45 Seiten langen Vortrag äußerte sich Özkök zu vielen innenpolitischen Themen, die das Militär nach europäischem Verständnis eigentlich nichts angehen. So warnte er den frommen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor einem „gemäßigt islamischen“ Staatsverständnis, verbat sich eine gesellschaftliche Diskussion über bestimmte Verfassungsartikel und griff die Haltung der EU zur Türkei an. Widerworte gab es nicht: Dass ein General von der Regierung zurechtgewiesen werden könnte, ist in der Türkei trotz aller Reformen immer noch unvorstellbar.

Möglicherweise reagierte Özkök mit der forschen Rede auf den Druck von Hardlinern in der Armee, denn im Vergleich zu seinen Vorgängern ist der derzeitige türkische Generalstabschef äußerst liberal. Özkök ließ es zu, dass der von den Militärs lange als Nebenregierung benutzte Nationale Sicherheitsrat im Zuge der EU-Reformen zu einem Beratungsgremium abgestuft wurde; unter seinem Befehl fanden erstmals spektakuläre Korruptionsprozesse gegen hochrangige Generäle statt. Mit seiner Grundsatzrede stellte Özkök jetzt jedoch klar, dass die Militärs ihre Rolle als selbst ernannte Wächter über den türkischen Staat nicht aufgeben wollen.

Die Türkei sei trotz ihrer vorwiegend muslimischen Bevölkerung kein islamischer Staat, stellte Özkök fest. Jeder Versuch, ein „gemäßigt islamisches Staatsmodell“ zu errichten, werde den Widerstand der „Nation“, sprich: der Militärs hervorrufen. In einem Land, in dem die Militärs seit 1960 viermal demokratisch gewählte Regierungen absetzten, haben solche Drohungen Gewicht.

Den dritten Artikel der türkischen Verfassung, der die Unteilbarkeit des Landes postuliert, erklärte der Generalstabschef für unantastbar. Özkök schloss weitere Zugeständnisse in der Zypernfrage aus, forderte eine Entschuldigung Griechenlands für die Schändung einer türkischen Fahne in einer Athener Militärakademie und warf der EU vor, sie habe immer noch nicht die Bedeutung der Türkei für ihre eigene Zukunft verstanden. Wenn der EU-Beitritt der Türkei am Ende scheitere, sei das auch nicht das Ende der Welt.

Mit einem Sturm der Kritik muss ein türkischer Generalstabschef in der Türkei nach einer solchen Rede nicht rechnen. Im Gegenteil: Große Teile der Öffentlichkeit beklatschten Özkök. Der General habe gesagt, was gesagt werden musste, lautete ein Zeitungskommentar. Immer noch betrachten viele Türken die Armee als notwendigen innenpolitischen Aufpasser. Selbst der von Özkök attackierte Premier Erdogan gab später lediglich zu Protokoll, es gebe Bereiche, in denen er mit dem General nicht einer Meinung sei.

Offene Kritik am Machtanspruch der türkischen Militärs kommt derzeit lediglich von außen. Der EU-Botschafter in Ankara, der deutsche Diplomat Hansjörg Kretschmer, wandte sich kürzlich erst dagegen, dass die türkische Armee politische Aussagen treffe, die eigentlich Sache der zivilen Behörden seien. Das zeige, wie weit die Türkei noch von den Standards der Europäischen Union entfernt sei. Özköks Grundsatzrede hat wohl nicht dazu beigetragen, diesen Abstand zu verringern.

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