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Der IS hinterlässt bei seinem Rückzug verbrannte Erde. Die brennenden Ölquellen bei Qayyara setzen gefährliche Dämpfe frei.

© Al Marjani/Reuters

Irak: Der IS vergiftet die Luft in Mossul

Der "Islamische Staat" setzt Ölquellen in Brand. Für die Menschen in der umkämpften Region hat das katastrophale Folgen.

Es sind apokalyptische Szenen, die sich den Helfern an Ort und Stelle bieten: Die Erde brennt, beißender Qualm hüllt das Land in eine giftige Dunkelheit. Alles ist von einer dicken Schicht aus öligem Ruß und Asche überzogen. Die kleine Stadt Qayyara, rund 60 Kilometer südlich von Mossul, sieht aus wie der Vorhof zur Hölle, seit der „Islamische Staat“ auf seinem Rückzug mehrere Ölquellen und eine Schwefelmine angezündet hatte.

Die Stadt mit ihren rund 15 000 Einwohnern war im Juni 2014 unter die Kontrolle der Terrormiliz geraten. Erst vor drei Monaten konnten irakische Truppen die Kleinstadt am Tigris bei ihrem Vorrücken auf Mossul zurückerobern. Mittlerweile ist auf einem alten irakischen Flugfeld nur wenige Kilometer von Qayyara entfernt das größte Militärlager der Anti-IS-Koalition entstanden. Dort sammelten sich die irakischen Truppen vor dem Sturm auf die IS-Bastion.

Heute nutzen die USA den Stützpunkt für Luftangriffe auf Stellungen der Dschihadisten. Der von ihnen verursachte Qualm soll den Piloten die Sicht nehmen. Die Soldaten auf dem Stützpunkt tragen Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Aber die Zivilisten sind den giftigen Dämpfen schutzlos ausgeliefert.

Die Region müsste evakuiert werden

Christian Bussau, der als Biologe für Greenpeace arbeitet, sagt, man könne die Folgen für Mensch und Umwelt noch nicht absehen. Doch klar sei: „Öl ist eine extrem giftige Substanz, und Menschen, die diese Dämpfe jetzt einatmen, sind akut gefährdet.“ Eigentlich ist es dringend geboten, die gesamte Region zu evakuieren. Experten müssten Bodenproben nehmen und je nach Grad der Verseuchung tonnenweise Erdreich abtragen. Doch das ist angesichts der heftigen Kämpfe kaum denkbar.

Denn Helfer kommen nur schwer in die Region und viele Menschen trauen sich nicht zu flüchten, da sie Angst haben, dass man sie, die noch bis vor kurzem unter der Herrschaft des IS gelebt haben, für Unterstützer der Dschihadisten halten und sich an ihnen rächen könnte. Und so bleiben viele lieber in ihrer Heimat, obwohl die Ölquellen noch immer brennen und die Luft verpesten.

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass derzeit allein in und um Qayyara noch fast 20 Ölquellen brennen. Diese Brände zu löschen, gilt als extrem schwierig und gefährlich. Lokale Feuerwehrleute haben anscheinend erst eine brennende Quelle löschen können. Daher hat die irakische Regierung ein Expertenteam aus Kuwait um Hilfe gebeten. Doch das ist noch nicht einmal in Qayyara eingetroffen.

Das größte Problem für die Menschen

Inzwischen ist die Luftverschmutzung zum dringendsten Problem der Bevölkerung geworden. Noch vor der Stromversorgung, Essen und Trinkwasser. Kai Tabacek, der für Oxfam im Irak war, sagt: „Schon nach wenigen Stunden fällt einem das Atmen schwer, die Augen tränen, man bekommt unerträgliche Kopfschmerzen.“ Seine Kollegen, die eine kleine Klinik in Qayyara besucht haben, hätten von den Ärzten erfahren, dass die allermeisten Patienten sich inzwischen wegen Haut-, Augen- und Lungenproblemen behandeln lassen. Dies sei auf den giftigen Ölqualm zurückzuführen.

Auch die Folgen für die Natur sind schon jetzt verheerend. Pflanzen können unter der Rußschicht keine Photosynthese mehr betreiben und gehen ein. Mit ihnen sterben Mikroorganismen im Boden. Vögel und Wildtiere, die versuchen das klebrige Öl vom ihrem Gefieder oder Fell zu lecken, tragen die giftigen Substanzen so in ihren Verdauungstrakt und verenden qualvoll an inneren Verätzungen.

Der IS kämpft mit allen Mitteln

Eine weitere Gefahr kommt mit dem nächsten großen Regen. Denn dann wird das giftige Öl in den nahen Tigris geschwemmt, der sich als Lebensader Richtung Südosten schlängelt und hunderttausende Menschen mit Trinkwasser versorgt und unzähligen Fischern als Lebensgrundlage dient.

Doch Experten befürchten: All das könnte nur ein Anfang sein. Man müsse davon ausgehen, dass der IS alle Mittel nutzt, die ihm zur Verfügung stehen, sagt Bilkis Wille von Human Rights Watch. In Mossul selbst befinden sich nicht nur mehrere Öllager, Elektrizitäts- und Heizkraftwerke sowie Fabriken, in denen Treibstoffe und Chemikalien gelagert werden. Der IS soll dort zudem noch mindestens sechs Ölfelder kontrollieren. Und wenn die Dschihadisten diese anzünden und alles vorhandene Gift freigesetzt, vielleicht sogar der Staudamm vor Mossul gesprengt wird, lässt sich die Dimension der Katastrophe kaum noch abschätzen.

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