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Politik: Der Kessel brodelt weiter Von Robert Birnbaum

Wenn das Manometer Überdruck im Kessel anzeigt, hilft nur noch, die Hitze zu vermindern. Die Bundesregierung hat die Flamme unter dem HartzKessel ein bisschen niedriger gedreht.

Wenn das Manometer Überdruck im Kessel anzeigt, hilft nur noch, die Hitze zu vermindern. Die Bundesregierung hat die Flamme unter dem HartzKessel ein bisschen niedriger gedreht. Das schrille Pfeifen des Notventils wird leiser, vormals vehemente Kritiker spenden Applaus. Aufatmen allerorten: Die Explosion ist abgewendet, vorerst jedenfalls. Die Reparaturtrupps reiben sich den Schweiß von der Stirn. Dabei fängt ihre Arbeit gerade erst an. Denn, um im Bild zu bleiben, im Kessel brodelt es weiter.

Richtig, wichtig an den Krisen-Beschlüssen der Kanzlerrunde ist vor allem ihr symbolischer Gehalt. Man kann darüber akademisieren, ob das erste Arbeitslosengeld II wirklich im Januar ausgezahlt werden muss. Man kann an Freibeträgen für Kinder-Sparguthaben herumrechnen. Die Regierung hat beides bisher getan – und dabei das Wesentliche übersehen. Hartz ist in den Augen der Bürger nicht nur eine dieser Zumutungen wie, sagen wir, die Praxisgebühr. Hartz erscheint vielen als erste echte Bedrohung. Sie fürchten, dass der Staat sie nach dem Verlust ihrer Arbeit zwar fordern wird, aber gar nicht fördern kann. Wer da den Eindruck zulässt, dass die Politik sich nebenbei noch eine Monatszahlung sparen und zugleich den Kindern das Gesparte für die Ausbildung nehmen wolle, mag ordnungspolitisch und fiskalisch im Recht sein, soviel er will – es bleibt eine psychologische Trottelei ersten Ranges.

Die ist jetzt also korrigiert, notgedrungen. Die meisten der professionellen Kritiker reagieren geradezu erleichtert, kein breiter Kampfesruf erschallt, jetzt das ganze Gesetz zu kippen; auch die Wahlkampf-Populisten der Union streichen die Flagge – spät, aber immerhin.

Das eigentliche Problem bleibt trotzdem. Die Bürgerproteste gegen Hartz richten sich nur vordergründig gegen ein paar handwerkliche Schnitzer, in Wahrheit aber gegen den Kern des Vorhabens. Sie kommen auch nicht aus chronisch verarmten Unterschichten, sondern aus der Mitte der Arbeitsgesellschaft. Ihr Antrieb ist ein Gefühl großer Verunsicherung. Wir Mittelschicht-Angestellte haben in den letzten Jahren schlecht und recht gelernt mit der Sorge zu leben, dass auch wir arbeitslos werden könnten. Aber da war ja wenigstens noch das soziale Netz. Jetzt grassiert die Angst, dass das Netz zu löcherig wird und nicht mehr vor sozialem Absturz bewahrt.

Angst muss Politik immer sehr ernst nehmen. Sie hat es bisher nicht getan. Die Regierung hat, paralysiert von Wahlniederlagen, noch nicht einmal versucht, über ein paar Floskeln hinaus ihr Projekt zu erläutern. Die Opposition, geistiger Vater der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, steht auch nicht richtig lautstark zu ihrem Kinde. Erläutern müssten beide nicht nur praktische Abläufe und wie Fragebögen auszufüllen sind. Erläutern müssten sie vor allem, dass dieses Hartz-Gesetz ein Versuch ist, in Zeiten knapper Kassen trotzdem so viel Solidarität wie möglich zu organisieren. Dass es sich nicht um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Arbeitsberater handelt, sondern um den Versuch, mit deren Auftrag endlich Ernst zu machen. Dass es dabei nicht angeht, dass „bessere“ Arbeitslose von der Gemeinschaft Leistungen beziehen und zugleich ihr privates kleines Glück an Rücklagen weitgehend behalten dürfen. Dass aber trotzdem der Staat nicht als kalter Abzocker auftreten wird, der mehr Zukunftschancen nimmt, als er schaffen kann.

Mit anderen Worten, es geht nicht nur um Appelle an den Verstand und um durchgerechnete Beispieltabellen, sondern um Überzeugungsarbeit mit Gefühl und Gespür für die Grenzen des Erträglichen. Damit hat die Regierung jetzt immerhin rudimentär angefangen. Und die Opposition lässt immerhin erkennen, dass sie verstanden hat: Jedes populistische Mitmarschieren in der Protestbewegung ruiniert den Boden für Reformen, auf dem sie selbst doch säen und ernten will. Die Montagsdemonstrationen werden weitergehen. Die Politik kann das nicht verhindern. Sie kann aber etwas dagegen tun, dass die Demonstranten immer mehr werden.

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