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Der Konflikt im Nordirak: Deutsche Waffen - mitten ins Krisengebiet?

Die Dschihadisten der Terrormiliz IS verursachen im Nordirak weiter Angst und Schrecken. Die Entscheidung, dass Deutschland Waffen in das Krisengebiet liefert, könnte noch in dieser Woche fallen. Warum ist sie so schwerwiegend?

Von Hans Monath

Nach Tagen des Zauderns und teils widersprüchlicher Botschaften fand die Bundesregierung Mitte vergangener Woche zu einer Entscheidung: Grundsätzlich ist sie zu Waffenlieferungen an die Gegner der Terrormiliz IS im Nordirak bereit, obwohl Deutschland eigentlich nicht in Spannungsgebiete liefert.

Wird Deutschland tatsächlich Waffen für den Kampf gegen die Dschihadisten liefern?

Das ist weiter offen. Zwar ist die Bedrohung der Jesiden etwas eingedämmt, doch die gut ausgerüstete IS bedroht weiter ihre Gegner, auch weil sie moderne Waffen der irakischen Armee erobern konnte. Noch prüfen mehrere Ministerien, welche Waffen die Kurden benötigen, welche die Bundeswehr aus eigenen Beständen liefern könnte oder ob die Gefahr besteht, dass diese nach einem Ende der Kämpfe die Region destabilisieren könnten. Vor allem sind auch noch politische Fragen zu klären: Welche militärischen Ziele sollen mit deutschen Waffen erreicht werden, welches Konzept steht dahinter? Innerhalb weniger Tage sollen die zuständigen Minister und die Kanzlerin nun entscheiden. Da die Bundesregierung eine Waffenlieferung offiziell beschließen müsste, wäre die nächste Kabinettsssitzung am Mittwoch dafür ein geeigneter Anlass.

In einer Sondersitzung beschäftigte sich am Montag auch der Verteidigungsausschuss des Bundestages mit der Frage der Waffenlieferungen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) begrüßte es, dass dies nun im Parlament offen und ohne Vorbehalte beraten werde: „Man muss erst einmal das Tabu brechen, darüber nicht nachzudenken.“ Erste Entscheidungen über mögliche Waffenhilfen könnten noch in dieser Woche fallen, kündigte Leyen an. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte (CDU), sagte: „Wir dürfen keine ideologischen Scheuklappen haben.“ Auch die SPD hält sich die Option für deutsche Waffenlieferungen offen, wie Generalsekretärin Yasmin Fahimi in Berlin sagte. Agnieszka Brugger von den Grünen hingegen lehnt einen solchen Schritt ab. Waffenlieferungen seien mit großen Gefahren verbunden.

Was spricht rechtlich gegen Waffenlieferungen?

Auch beim Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Wochenende in Erbil baten die Kurden dringend um deutsche Waffen. Rechtlich wäre eine Lieferung möglich, glaubt die Bundesregierung. Zwar schließen die Rüstungsexportrichtlinien Lieferungen in Kriegs- und Krisengebiete eigentlich aus. Wenn es um Selbstverteidigung eines Staates geht oder um besondere deutsche Sicherheitsinteressen, sind Ausnahmen aber zulässig. Auch darf nicht an Milizen, sondern nur an einen legitimen Staat geliefert werden. Da der Status der Kurden in ihrem autonomen Gebiet im Nordirak aber in der irakischen Verfassung verankert ist, wäre eine Lieferung an die kurdischen Behörden möglich.

Würden Lieferungen in den Nordirak einen Präzedenzfall für andere Spannungsgebiete schaffen?

Zwangsläufig ist das nicht. Denn im Fall des Iraks geht es um Unterstützung zur Abwendung eines Völkermords und um existenzielle deutsche Sicherheitsinteressen: Die IS soll nicht weitere Gebiete erobern und womöglich die gesamte Region destabilisieren. Es handelt sich auch nicht um ein Rüstungsgeschäft, sondern um Nothilfe. Anders ist es bei klassischen Rüstungsexporten, über die der Bundessicherheitsrat entscheidet. Dabei geht es immer auch um die Bewahrung bestimmter Fähigkeiten der deutschen Rüstungsproduktion, aber auch um strategische deutsche Interessen und Menschenrechtsfragen. Das grundsätzliche Ja zu Waffenlieferungen in den Nordirak dürfte allerdings Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Erklärungsnot bringen. Er hat eine restriktivere Rüstungsexportpolitik angekündigt. Nun muss er darlegen, dass mögliche Lieferungen in den instabilen Nordirak und weniger Geschäfte mit anderen Abnehmerländern kein Widerspruch sind.

Zeigt die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesregierung einen Kurswechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Selbst wenn die Bundesregierung diesmal doch keine deutschen Gewehre, Panzerabwehrsysteme oder Transportpanzer zum Kampf gegen die IS in den Nordirak schicken sollte: Ihre schon jetzt erfolgte Abkehr von der strengen Doktrin des Nein zu Waffenlieferungen in einem laufenden Krieg dürfte weit reichende Wirkungen entfalten. Entscheidend ist die grundsätzliche Bereitschaft deutscher Politiker, angesichts eines drohenden Völkermordes und einer barbarischen Aggression, die weltweit Entsetzen auslöst und verurteilt wird, neue Wege zu gehen.

In der vergangenen Bundesregierung hatte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ gepriesen und sich gegen jedes neue militärische Engagement Deutschlands gestemmt, die Kanzlerin ließ ihn gewähren. Bei den Partnern verstärkte das den Verdacht, die Deutschen profitierten zwar von den Sicherheitsleistungen anderer, wollten sich selbst im Ernstfall aber lieber heraushalten. Dagegen machte Westerwelles Nachfolger (und Vorgänger) Steinmeier früh deutlich, dass mit der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ kein Abseitsstehen Deutschlands in internationalen Konflikten gemeint sein dürfe.

Deshalb wird die jetzige Grundsatzentscheidung auch in Hauptstädten von EU- und Nato-Staaten begrüßt werden: „Nicht mit uns“ ist womöglich nicht mehr der erste Reflex in Berlin, wenn es um Fragen von Waffenlieferungen oder Militäreinsätzen geht. Insgesamt dürfte das die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik näher an die der Partner heranrücken, eine Zusammenarbeit innerhalb der EU in kritischen Situationen künftig leichter machen. Zu den Motiven der Bundesregierung für die Entscheidung gehörte auch die Furcht, ähnlich wie bei der Libyen-Entscheidung allein dazustehen. Hält sie die Linie durch, geht sie den Weg einer „Normalisierung“ der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik weiter: Die spezifisch deutsche Erfahrung mit dem Zweiten Weltkrieg, die mit dem Einsatz militärischer Mittel zuallererst Vernichtung und Niederlage assoziiert, würde die deutsche Außenpolitik dann weniger stark prägen als bisher.

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