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Politik: Der Kriegsheld litt fünfeinhalb Jahre in nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft, nun möchte er das Erbe von Bill Clinton antreten

Im "Pinnacle Peak Patio" kann man gut essen. Vor allem aber ist das rustikale Restaurant in einem schicken Vorort der Landesmetropole Phoenix im trockenen Arizona ein Laden für Rauhbeine.

Im "Pinnacle Peak Patio" kann man gut essen. Vor allem aber ist das rustikale Restaurant in einem schicken Vorort der Landesmetropole Phoenix im trockenen Arizona ein Laden für Rauhbeine. Die Spezialität des Hauses: Cowboy-Steak. Jeden Abend gibt es Country- und Western-Musik. Wer mit Krawatte Einlass begehrt, dem wird sie abgeschnitten. Hier ist der Mann noch Mann: ungestüm, Zivilisationen und Parteigremien entronnen, natürlich und hart. Darum ging es vor gut eineinhalb Jahren. Am 22. Mai 1998, einem Freitag, saßen zwei Politiker im "Pinnacle Peak Patio". Volker Rühe erklärte John McCain, wie er Bundeskanzler wird, und John McCain revanchierte sich mit seinem Plan, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden.

Dieses Treffen führte zwei ähnliche Naturen zusammen. McCain und Rühe lümmeln gern ein wenig und geben den Flegel. Beide poltern, wenn ihnen etwas nicht passt. Beide haben ein Faible für alles Militärische und mehr Selbstvertrauen als politische Hausmacht. Bei Volker Rühe entscheidet sich im Februar, ob er in Schleswig-Holstein Ministerpräsident und damit Kandidat für die nächste Kanzlerkandidatur der Union wird. Für John McCain entscheidet sich im Februar, ob sein phänomenaler Aufstieg ausreicht, um George W. Bush die sicher geglaubte Nominierung durch Amerikas Republikaner doch noch entreißen zu können.

"Es gibt heute keinen Politiker, der es mit mehr Energie und Kraft wagt, Parteigrenzen zu überwinden", hat man in der "New York Times" über den 1936 in der Panama-Kanalzone Geborenen geschrieben. McCain ist wie Rühe: kein altrechter Moral-Konservativer, sondern ein moderner Patriot, für Freihandel und in sozialen Fragen liberal. In den USA heißt dies für einen Republikaner wie McCain, nicht ständig über Abtreibung zu reden, auch wenn er diese prinzipiell ablehnt. Und es heißt, Einschätzungen weit jenseits der Partei-Orthodoxie zu wagen: "Natürlich kann eine Frau, ein Schwarzer oder ein Homosexueller US-Präsident werden!"

McCain stammt aus einer Soldatenfamilie; Vater und Großvater waren Marine-Admiral. Seine Jugend, räumt er selbstkritisch ein, habe er vertändelt. Als Zweijähriger habe er Wut und Ärger verarbeitet, indem er die Luft anhielt, bis er ohnmächtig wurde. Auf die häufigen Schulwechsel als Sohn eines Militär-Migranten reagierte er mit Faustkämpfen gegen neue Mitschüler. In der Marineakademie war er miserabel; beim Pilotentraining in Spanien durchschnitt er im Tiefflug ein paar Stromleitungen und versenkte das halbe Land in Dunkelheit. Seine 86-jährige Mutter antwortet noch heute auf die Frage, warum sie stolz auf ihren John sei: "Weil er so ein Pfuscher ist!"

Dann kam der Kriegsdienst in Vietnam. McCain wurde im Oktober 1967 bei seinem 23. Einsatz als Marinepilot über Hanoi abgeschossen und landete mit gebrochenem Bein in einem kleinen See nahe des Zentrums der Hauptstadt. Nordvietnamesische Soldaten zogen ihn an Land und zertrümmerten mit Gewehrkolbenhieben seine Schulter. Mitte 1968 wurde ihm aufgrund des Ranges seines Vaters die vorzeitige Entlassung angeboten. Er lehnte ab, um keine Propagandaschau nordvietnamesischer Humanität zu ermöglichen. Die Folgen waren drastisch. Rippen und Zähne wurden ihm eingeschlagen, er landete in zweijähriger Einzelhaft. Nach schaurigen Torturen unterschrieb er ein "Geständnis". Deshalb sei er alles andere als ein Held, sagt er heute. 1973 kam er frei und erfuhr, dass der erste Mensch auf dem Mond gelandet war.

Rühe beschreibt McCain als "geprägt von Vietnam und Asien statt von Zweitem Weltkrieg, Berliner Mauer und Europa". Anfang der 80er Jahre begann seine politische Karriere im Heimatstaat seiner zweiten Frau Cindy, mit der er ein Waisenkind aus Bangladesch adoptiert hat. Ein Zugereister sei er, schrien seine Kontrahenten. "Am längsten habe ich in Hanoi gelebt, soll ich dort kandidieren?", warf McCain zurück.

Bald wurde er Abgeordneter und 1986 Arizonas Senator. Das Jahr 1998 katapultierte ihn dann in die erste Reihe jener Präsidentschaftskandidaten, die sich ihre Stimmen in der breiten Mitte suchen - da, wo Clinton das Siegen vorgemacht hat. McCain hat keine Berührungsängste mit Demokraten. Mit einem hat er seinen Gesetzentwurf zur Parteispendenreform vorgelegt. Er scheiterte. Dann hat er als Chef des Handelsausschusses im Senat vorgeschlagen, Zigaretten zu verteuern und die Milliarden-Subventionen der Tabakfarmer zu beenden. Seine Republikaner-Freunde gifteten, McCain wolle Steuererhöhungen. Auch diese Initiative scheiterte an der eigenen Partei.

"Ich hasse die Franzosen"

McCains Temperament ist berüchtigt. "Sie sind ein Lügner! Sie Idiot!", brüllte er einen Reporter aus Arizona einst an. Seine Heimatzeitung rügt McCains "vulkanische" Ausbrüche. Das hat sich, seit McCain zu Bushs einzigem ernsthaftem Rivalen wurde, gründlich geändert. Der neue McCain ist sanftmütig. "Der ist zugänglicher als Nutten in Hongkong", stand in "Time". 36 Tage hat er bereits im entscheidenden Vorwahl-Staat New Hampshire verbracht, und noch immer beantwortet er lächelnd jede Wählerfrage. McCain hat etwas Neues geschaffen: Er ist so offen und ehrlich, er überzeugt so sehr durch Authentizität und den Verzicht auf alle Formeln und Floskeln, dass Amerikas Presse ihm Patzer durchgehen lässt, die andere Karrieren zum Knicken bringen würden. Den tief empfundenen Ausspruch beispielsweise: "Ich hasse die Franzosen!"

Lange hat McCain sinniert, wie man ohne starke Hausmacht in der eigenen Partei deren Spitzenjob erbeutet - als Konservativer der Mitte, der den harten Kerl geben kann, aber seine Zugkraft bei den Wählern eher aus moderaten Ansichten bezieht. Ohne Kommunismus und Wirtschaftskrise fehlen den Republikanern die großen Themen, und das einzige, das übriggeblieben ist, der Ruf nach radikalen Steuersenkungen, ist ein Chor, in den McCain nicht einstimmt.

Deshalb zählt Persönlichkeit. McCain ist der Anti-Clinton. Und er hat ein Thema, das seine Biografie ins Politische übersetzt: "Campaign finance", die Reform der amerikanischen Wahlkampffinanzierung. "Soft money", die unbegrenzten Spenden für Parteiarbeit ("hard money" sind die begrenzten Spenden zugunsten einzelner Kandidaten), will McCain verbieten, weil sie ihm als Einfallstor der Lobbys gelten, die faktisch Amerikas Gesetze schreiben. Das Problem dabei ist, dass seine eigenen Republikaner auf Spenden aus der Wirtschaft stärker angewiesen sind als die Demokraten, die Mitgliedsbeiträge der Gewerkschaften in Millionenhöhe eingeflößt bekommen.

So klagt die republikanische Funktionärskaste, McCain wolle ihr den Teppich unter den Füßen wegziehen. "Sie spielen den Demokraten in die Hand!", hat ihm der schwerreiche Verleger Steve Forbes, der dritte unter den chancenreicheren Präsidentschaftskandidaten der Rechten, vorgehalten. Und dann gibt es noch verfassungsrechtliche Bedenken: Unbegrenzt zu spenden gilt in den USA als Ausdruck der Meinungsfreiheit. McCain hat dem ostentativ eine weitere Betonung seiner Unabhängigkeit entgegengesetzt. Am 16. Dezember traf er sich mit dem demokratischen Gore-Rivalen Bill Bradley und setzte seinen Namen unter das gemeinsame Versprechen, "soft money" zu verbannen.

Mit beidem, mit seinem heroischen Lebenslauf und seinem Eintreten gegen das Establishment, gelingt McCain ein Zauberstück: Der Senator wird zum glaubhaftesten Gegner der Maschine namens Politik. McCain hat sich perfekt gehäutet und brilliert nun als aufrechter Außenseiter.

Sein zweites Standbein ist die Außenpolitik. "Der Rückgang der Aufwendungen für die Sicherheit in allen europäischen Nato-Staaten besorgt mich sehr", hat McCain nach dem Kosovo-Krieg bilanziert. "Angesichts dessen ist die Debatte über eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität nicht hilfreich." Kosovo war eine Sternstunde für den Senator. Vehement argumentierte er für ein Einbinden Russlands, für die Drohung mit der Option Bodentruppen und für die Doktrin der "überwältigenden Macht" des ehemaligen Generalstabschefs Colin Powell, der viel von McCain hält. Henry Kissinger und Mike Deaver, Reagans Chefberater, sind weitere Schlüsselfiguren in McCains Küchenkabinett.

"Die Jugend vom Zynismus befreien"

"Ein Krieg verläuft nicht nach Plan, und dies umso mehr, wenn man keinen Plan hat", meinte McCain. "Wissentlich hat die Nato alle Lehren aus Vietnam ignoriert." Der Senator war einer der wesentlichen Fürsprecher des Krieges im Kongress, wenn er auch einen schärferen Kurs forderte. "Jeder Krieg bringt Tausende von Tragödien. Deshalb sollten wir ihn vermeiden. Noch schlimmer ist es, ihn zu verlieren", hat er im Plenum gesagt.

Im Wahlkampf hat ihn nun sein Schlüsselerlebnis eingeholt: Vietnam. Aus der Ecke seiner Konkurrenten kamen Einflüsterungen, die Kriegsgefangenschaft habe seine psychische Stabilität untergraben. Sein heißes Temperament sei der Ausdruck einer labilen Geistesverfassung, die Spätfolge der Folter. McCain witzelt heute über die Rufmordkampagne: "Warum ich Präsident werden will? Meine Frau sagt: Irgendein Vietcong hat mir fünfmal mit einem Bambusrohr auf den Kopf geschlagen, deshalb!" Amerikas Öffentlichkeit empfindet es als niederträchtig, dass McCain aus seinem Kriegsschicksal ein Strick gedreht werden sollte. Es kam zu einer breiten Solidarisierungskampagne. Selbst die linksliberale Presse sah sich plötzlich in der Rolle des McCain-Verteidigers. Auf die Ehre seiner Helden lässt Amerika nichts kommen.

Physische Vietnam-Folgen sind fraglos geblieben. Schwere Arthritis in der Schulter und im Bein, eine Spätfolge jahrelang nicht behandelter Verletzungen, behindert McCain. Doch die steifen Gelenke fügen sich in das Bild, das sich Amerika von ihm macht: kein großer Junge wie Clinton und Bush, eher ein Vater. "Endlich haben wir einen Kandidaten, dem sich die Presse nicht überlegen fühlt, einer, der natürliche Autorität ausstrahlt", hieß es in einem Leitartikel.

McCain findet in seinen Wahlkampfreden problemlos die Brücke von Vietnam in die Zukunft. Sein Schlüsselsatz verbindet Kennedy mit Reagan: "Ich will erreichen, dass wir es wieder schaffen, junge Menschen von der Größe Amerikas zu überzeugen, vom Zynismus zu befreien und zu inspirieren, an gemeinsame Aufgaben zu glauben, die größer sind als ihr Eigeninteresse!" Opfer will er verlangen, nicht Wohltaten verteilen.

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