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Politik: Der lachende Dritte

Nach Bush besucht Chirac London. Er sieht sich bestätigt und rechnet mit Zugeständnissen

Wenn Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac an diesem Montag zu seinem zweiten Besuch in diesem Jahr in Großbritannien eintrifft, könnte ihn eine Aura der Genugtuung umgeben. Chirac, so urteilen jedenfalls französische Diplomaten, habe allen Grund, gelassen und selbstbewusst in die Gespräche mit seinem Kollegen Tony Blair zu gehen. Schließlich bestätigten viele der Themen, die auf der Tagesordnung der Blitzvisite stehen, Frankreichs Vorgehen in der internationalen Politik. Die katastrophale Lage im Irak, der Dauer-Engpass in der Nahost-Politik, die Haltung zum iranischen Nuklearprogramm und die Probleme bei der EU-Erweiterung – schon seit Monaten lassen Frankreichs Diplomaten und Chefkommentatoren durchblicken, dass Chiracs Politik, im Duo mit der deutschen Außenpolitik, seit rund einem Jahr die richtige ist.

Mit besonderer Zufriedenheit registrierten die politischen Beobachter in Frankreich, dass US-Präsident George W. Bush und sein enger britischer Verbündeter Tony Blair in ihrer Irak-Politik dabei sind, noch vor kurzem vehement angefeindete französische Vorschläge, beispielsweise die schnellstmögliche Übergabe der Souveränität an die Iraker, mehr und mehr beherzigen. „Die Kehrtwende von Bush und Blair“, titelte „Le Parisien“ mit leicht hämischem Unterton, und „Le Figaro“ schrieb, Frankreich schicke sich nun an, den beiden „unter die Arme zu greifen“. So deutlich wird dies bei Chiracs Unterredung mit Blair natürlich nicht ausgesprochen werden, schließlich sollen weder Bush noch Blair ihr Gesicht verlieren. Aber es ist kein Zufall, dass Chirac nur wenige Tage nach Bushs Abreise aus London zu einem, wie es im Elysée-Palast heißt, „äußerst diskreten Besuch“ auf die britische Insel reist – derselbe Chirac, der nach der gescheiterten UN-Resolution und dem Kriegsbeginn im Irak von der britischen Presse als „falscher Hund“ und „nationalistischer Starrkopf“ bezeichnet wurde.

Im Koffer hat Chirac etliche weitere Anliegen, vor allem Londons Beitrag zu einer gemeinsamen EU-Verteidigung. Die Spitzenvertreter der Achse Berlin-Paris-London hatten sich zu diesem Thema in Grundsätzen vor zwei Monaten in Berlin zwar verständigt, Blair bekam später von seinem transatlantischen Partner USA aber deutlich zu spüren, dass ihm die Hände gebunden sind. „Wir lehnen jeden Vorschlag ab, der die Funktion der Nato verringern könnte“, betonte damals zur Enttäuschung von Chirac und Kanzler Schröder Blairs Sprecher. Chirac will nun erneut für die gemeinsame Verteidigung „mit den britischen Freunden“ werben. Dabei geht es ihm vor allem um das britische Ja für ein vom Nato-Hauptquartier unabhängiges Hauptquartier für die EU-Truppen. Dessen Ziel ist es, mittelfristig EU-Militäreinsätze unabhängig kommandieren zu können. So wollen es zumindest Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg, die sich darauf bei einem Mini-Gipfel im Frühsommer geeinigt hatten, ohne Großbritannien, was die Stimmung zwischen den „alten“ EU-Partnern nicht gerade verbessert hat. Weiteres Öl ins Feuer der Beziehungen gossen erst kürzlich Deutschland und Frankreich mit ihrer in den Medien diskutierten Vision, eine gemeinsame politische Union zu bilden.

Nun will der britische Premier in Sachen Europa offenbar nicht den Anschluss verpassen – und dies sieht Chirac als seine Chance, heute in London.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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