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Politik: Der letzte Auftritt

Der Bürgerrechtler Werner Schulz fühlt sich an die Volkskammer erinnert

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Häufig wurde über Werner Schulz gesagt, dass es dem Pankower Bündnisgrünen in die Wiege gelegt sei, mit seinen politischen Reden ganze Säle in Atem halten zu können – in der schnöden parlamentarischen Arbeit, Schulz ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion, habe er indes weit weniger Überzeugendes vorzuweisen.

Zumindest Ersteres hat Schulz an diesem Freitag einmal mehr bestätigt. Klagen vor dem Verfassungsgericht wolle er gegen die „fingierte“ Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder, sagte Schulz in einer persönlichen Erklärung vor der Abstimmung über dieselbe im Bundestag. Und zur Begründung: Weil diese Art des Umgangs mit dem Grundgesetz ihn, den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, zu sehr an das erinnere, was ihn seinerzeit schon an der Volkskammer störte – nämlich die subtile Verführung von Parlamentariern zur Umsetzung von Regierungswillen. Damals durch die Chefs der DDR-Blockparteien. Heute durch Franz Müntefering und seine eigenen Fraktionschefinnen, die die Koalition einluden, sich in der Vertrauensfrage der Stimme zu enthalten und damit auch diesem Willen des Regierungschefs zum Durchbruch zu verhelfen.

Keine Frage: Das war der letzte Auftritt des Politikers Werner Schulz im Bundestag. Von den Berliner Bündnisgrünen hat sich Schulz in den letzten Jahren so weit entfernt, dass sie ihm einen aussichtsreichen Listenplatz für die Wahl im Herbst versagten. Die Parteispitze schimpft ihn einen „selbstgerechten Querkopf“. Und auch er selbst wirkt in diesen Tagen zu ermattet und frustriert, als dass man ihm ein fulminantes Comeback zutrauen würde.

Wieder zieht einer derjenigen aus dem gesamtdeutschen Parlament aus, die vor 15 Jahren dazu beitrugen, dass dieses hohe Haus entstehen konnte. Und es würde Werner Schulz schmeicheln, in seinem parlamentarischen Nachruf zum letzten aufrechten Ossi erhoben zu werden, neben all den anderen aus der ehemaligen DDR, denen er nur zu gern unterstellt, dass sie wie die Lemminge diesem (west-)deutschen Politik-Betrieb hinterherlaufen. Einst bot der gebürtige Zwickauer dem Ulbricht-und-Honecker-Regime keck die Stirn, verweigerte sich als Abiturient einem politischen Jurastudium, stand an der Seite von Wolf Biermann und ließ sich dann für sein staatskritisches Engagement unter dem Dach der Kirche sogar aus dem wissenschaftlichen Dienst der Humboldt-Universität rausschmeißen. Dann rang er am Runden Tisch um ein Stückchen Anerkennung des Ostens bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Nun verweigert er zu guter Letzt auch noch Kanzler Schröder mit offenem Visier das Gefolge und lässt sich dafür einen „Querulanten“ nennen.

Schulz, daraus hat er zuletzt kein Hehl gemacht, hätte gern weiter regiert. Natürlich nicht im Sinne von „Weiter so“, der 55-Jährige ist kein Realitätsverweigerer. Mehr Selbstvertrauen der Regierungsfraktionen wünschte er sich. Damit man als Abgeordneter nicht dauernd zur Zustimmung von Entscheidungen der Regierung genötigt werde, die man im Zweifel selbst nur per Fernsehbotschaft übermittelt bekam. Der Jobgipfel, die Rürup- und Hartz-Kommissionen, das Regieren in Talkshows – für Werner Schulz waren das alles Zeichen einer politischen Kultur, die er ablehnt, der er sich in der täglichen Arbeit zum Schluss auch mehr und mehr entzog. Ein ironisches Ende: Während die Volksvertreter aus dem eigenen Lager die Abschiedsworte von Schulz im Bundestag fast alle mit Kopfschütteln zur Kenntnis nahmen, lief in seinem Büro der Mail-Server heiß. Mehr als 500 begeisterte Zuschriften von Fernsehzuschauern kamen allein in der ersten Stunde an.

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