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Politik: Der Minister als Reformsponti

CLEMENTS BERICHT

Von Ursula Weidenfeld

Die gute Nachricht ist, dass Wolfgang Clement der großen Versuchung nicht erlegen ist: Er hat den drohenden IrakKrieg nicht für die deutsche Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht. Er hat es sich verkniffen zu behaupten, dass die deutsche Wirtschaft sich schnell erholen wird, wenn die Weltwirtschaft wieder anzieht. Und er hat es vermieden, die ersten kleinen positiven Signale der Konjunktur zum Aufschwung groß zu reden. Damit hat er schon vieles anders und vieles besser gemacht als die Wirtschaftspolitiker der vorherigen rot-grünen Koalition.

Der Wirtschafts- und Arbeitsminister hat bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes die Lage so geschildert, wie sie ist. Die Lage ist schlecht, sehr schlecht. Nur ein Prozent Wachstum in diesem Jahr erwartet die Regierung jetzt offiziell, und eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von über vier Millionen. Und man muss davon ausgehen, dass die Regierung immer das Bestmögliche erwartet.

Von außen also wird die Hilfe nicht kommen. Superminister Clement hat gesagt, dass die Deutschen schon selbst dafür sorgen müssen, dass es ihnen wieder besser geht. Und dann hat er gesagt, wie er sich das vorstellt: Hartz-Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes verabschieden und umsetzen; Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe etwas oberhalb des Sozialhilfeniveaus; Neufassung des Arbeitsrechts, Reform des Kündigungsschutzes; Gesundheitsreform, Entbürokratisierung, Mittelstandspolitik, Existenzgründerhilfen, Bündnis für Arbeit, Exporthilfeprogramme, Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit, Minijobs, Ausbildungsinitiative, Steuerreform; haben wir etwas vergessen?

Der Mann hat sich viel vorgenommen. Clements Programm ist nahezu vollständig, was die Probleme Deutschlands angeht. Nur, dass die vorgeschlagenen Lösungen zu diesen Problemen nicht passen. Entweder greifen sie – wie bei der Arbeitsmarktreform – zu kurz. Oder sie versprechen zu viel – wie die ganz nebenbei angekündigte Mammutaufgabe einer Neufassung des deutschen Arbeitsrechts. Sie verlangen Unmögliches – wie die von Clement angeregte Entmachtung des Bundesrates. Oder sie verbrennen sich in reinen Symbolthemen wie beim umstrittenen Kündigungsschutz.

Zu klein, zu groß, zu weit, zu kurz, atemlos, widersprüchlich, unüberlegt: Es fehlen im Reformplanfeuerwerk des Wirtschaftsministers die Prioritäten, es fehlt das Prinzip. Schlimmer noch: Die Beliebigkeit der bisherigen Wirtschaftspolitik, der Hauruck-Pragmatismus des Kanzlers setzt sich in Clements Reformvorhaben fort. Der Kanzler wollte immer heute dies und morgen das, der Superminister will alles – und zwar sofort. Er hat wirklich Energie, nur mit der Konzentration hapert es. Ein Reformsponti.

Dabei hätte er alle Chancen, es besser zu machen: Noch ist Clement unverbraucht, noch ist seine Glaubwürdigkeit nicht durch zu große Versprechen und zu kleine Politik abgeschliffen. Noch hat er die Chance, die CDU im Bundesrat auf seine Seite zu bringen: Dazu aber braucht er eine Linie, ein Programm, einen Leitfaden, an dem entlang die Verständigung im Einzelfall ausgehandelt werden kann. Oder zumindest eine Reihen- und Rangfolge. Nur dann kann er die Gewerkschaften, die Linke in der SPD-Fraktion, die Herz-Jesu-Marxisten in der CDU an den Rand drängen.

Diese Linie aber hat er noch nicht gefunden. Und deshalb hat Wolfgang Clement ein Problem: Er muss dafür sorgen, dass sich die Reformrealität im Land seiner Rhetorik anpasst. Und dafür muss seine Reformrhetorik endlich realistisch werden. Was ausnahmsweise auch mal heißen kann, das Unmögliche zu fordern.

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