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Politik: Der neue Verteilungskampf

DEN SOZIALSTAAT RETTEN

Von Tissy Bruns

Es reicht so eben bis zum frühen Ruhestand, wenn ein Kollege mit 57 Jahren arbeitslos wird. Aber die Reformpläne der Bundesregierung sehen vor, dass es für ältere Arbeitnehmer nur noch 18 Monate Arbeitslosengeld geben soll. Das trägt als Brücke bis zur Rente nicht. Was sagt der sozialdemokratische Abgeordnete, wenn er gefragt wird: Ist das gerecht? Mehr als 30 Jahre eingezahlt, um dann nach anderthalb Jahren bei der Sozialhilfe anklopfen müssen?

Armer Volksvertreter. Armer Kollege. Kein 55Jähriger, der um seinen Arbeitsplatz bangt, wird den Sinn dieser Kürzung einsehen. Der Abgeordnete hat kein schlagendes Argument, bestenfalls eine lange Argumentationskette. In der wird vorkommen, dass Jüngere irgendwann vom Opfer des Älteren profitieren werden. Vorsichtig wird der Abgeordnete mit der Hoffnung winken, dass die Unternehmen den 57-Jährigen künftig im Betrieb halten. Denn durch das verkürzte Arbeitslosengeld wird das Zusammenspiel – Betriebssanierung auf Kosten der Sozialkassen – gesprengt, das Entlassungen so leicht gemacht hat.

Der Hinweis wäre treffend. Aber sehr schwer nachvollziehbar. Denn er stimmt für den großen gesellschaftlichen Zusammenhang, nicht aber für den einzelnen Menschen. Und dieser Befund trifft für jede Maßnahme zur Sanierung der Sozialsysteme zu. Ob bei Gesundheit, Rente, Arbeitslosigkeit – der solidarische Sozialstaat kann nur noch gerettet werden, wenn viele Bürger mehr auf die eigenen Schultern nehmen. Dieser Preis wird jetzt verlangt. Der Lohn winkt in der Zukunft. Die ist bekanntlich Glaubenssache.

Kein Wunder, dass es brodelt. Auch wer diesem Bundeskanzler nichts mehr zutraut, spürt, dass er Ernst machen will – und sei es als letzte Chance. Die SPD ahnt dumpf, dass sie sich mit dem Umbau des Sozialstaats selbst umkrempeln muss. Nach dem gleichen Muster: Wenn die SPD im Ganzen überleben will, werden einzelne Gewohn- und Gewissheiten auf der Strecke bleiben. Als Volkspartei fürchtet auch die Union Reibungsverluste bei der Suche nach einer neuen sozialen Balance. Es knirscht zwischen Stoiber, Merkel, Koch. Die Gewerkschaften übertönen durch lautstarke Gegenwehr ihre Angst, zur Lobby der Beschäftigten mit Normalarbeitsverhältnis herabzusinken – deren Zahl bekanntlich schrumpft und schrumpft.

Gerechtigkeit ist ein Begriff mit gutem Klang, zumal in Deutschland. Kaum ein Land hat diesem einen Grundgedanken aus der Frühzeit des Kapitalismus soviel Produktives abgewinnen können. Der Kampf um eine gerechte Verteilung zwischen Arm und Reich, Kapital und Arbeit ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. Wer an die Einkommen, Wohnungen oder die Bildungsprivilegien der 50er oder 60er Jahre zurückdenkt, blickt auf eine gewaltige Wohlstandsentwicklung in der relativ kurzen Zeitspanne der Bundesrepublik. Aber schon im Ständestaat haben üppige Patrizierhäuser angezeigt, dass man in zuviel Wohlstand bequem und träge werden kann. Das Alarmsystem des Sozialstaats sind die Versicherungsbeiträge, mit denen wir die Sozialkassen finanzieren. Weil diese Beiträge über die Arbeitsplätze aufgebracht werden, hat die Erfolgsgeschichte längst ihre gefährliche Kehrseite gezeigt. Die Sozialkosten verteuern die Arbeit so sehr, dass sie zur Sperre gegen Beschäftigung geworden sind. Und hohe Sozialleistungen senken den Anreiz zur Arbeit, vor allem bei einfachen Tätigkeiten, die deshalb schwarz oder illegal verrichtet werden.

Die Erfolge des alten Verteilungskampfes haben längst einen neuen geboren – und mit ihm große neue Ungerechtigkeiten. Heute verlaufen unübersichtliche Fronten zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, Jungen und Alten, den Menschen mit Zugang zu Bildung und Kommunikation und denen, die ihn nicht haben. Zwischen diesen Fronten trägt ein Gerechtigkeitsbegriff nicht weit, der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben. Keine Vermögensabgabe schafft der Alleinerziehenden mit Sozialhilfe und schwarzer Putzstelle einen Arbeitsplatz mit Alterssicherung. Gerecht wäre eine Politik, die allen die Chance bietet, durch Arbeit auf eigenen Füßen zu stehen. Sinkende Sozialbeiträge sind dafür nur eine Voraussetzung. Die EU sieht Deutschland am Rande der Rezession mit einem alarmierenden Haushaltsdefizit. Das macht die Sache umso dringlicher.

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