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Politik: „Der Norden ist Europas neue Energieregion“ Norwegens Außenminister über den Klimawandel, Konflikte mit Russland und viele Frauen im Kabinett

Im hohen Norden gibt es ein ziemliches Gedränge. Viele Staaten wollen die Energiereserven in der Arktis ausbeuten – auch Norwegen.

Im hohen Norden gibt es ein ziemliches Gedränge. Viele Staaten wollen die Energiereserven in der Arktis ausbeuten – auch Norwegen. Wie können Sie die dabei entstehenden Konflikte mit Russland lösen?

Wir haben keine Konflikte mit Russland. Wir haben eine gemeinsame Grenze und eine Vielzahl von Politikfeldern, bei denen Russland ein Teil der norwegischen Lösung und Norwegen ein Teil der russischen Lösung sein muss: beim Fischfang, Transport, der Energiegewinnung und der Umweltpolitik. Wir müssen eng mit Russland zusammenarbeiten – und tun das auch. Wir verhandeln seit 40 Jahren darüber, wo die Seegrenze zwischen unseren Ländern verlaufen soll. Das ist nach wie vor ungelöst. Aber es gibt keine Themen, die ich als Außenminister als Konflikte sehen müsste. Der hohe Norden ist Europas neue Energieregion. Es ist eine Region, in der der Klimawandel sichtbar ist, und in der es mehr Verkehr und mehr menschliche Aktivität geben wird.

Sieht Russland das genauso?

Im Großen betrachtet, ist die Antwort Ja. Russland definiert die Barentssee als wichtige Energieregion für Russland. Um die Öl- und Gasfelder ausbeuten zu können, braucht es mehr Transporte und eine sehr spezielle Infrastruktur. Damit das möglich ist, braucht es Stabilität und gute Beziehungen. Da teilen Russland und Norwegen eine Perspektive und daraus ergibt sich die Herausforderung, stets eine produktive Zusammenarbeit zu suchen. Dafür brauchen wir Geduld. Wir machen Fortschritte, aber haben auch noch einen Weg vor uns.

Norwegen profitiert in der Barentssee vom Klimawandel, weil die Ausbeutung der dortigen Energiereserven ohne das schmelzende Eis nicht möglich wäre. Gleichzeitig trägt Norwegen durch diese Ausbeutung weiter zum Klimawandel bei. Ist das nicht ein Problem für die Glaubwürdigkeit Ihrer Klimapolitik?

Es ist paradox. Aber es ist nicht Norwegens Paradox, sondern das Paradox der Welt. Experten sagen uns, dass die fossilen Brennstoffe heute 80 Prozent der verbrauchten Energie stellen. 2030 wird der Prozentsatz vermutlich noch immer bei 80 Prozent liegen, aber der globale Energiebedarf wird bis dahin um bis zu 60 Prozent steigen. Wenn wir keine großen technischen Durchbrüche erleben, ist das nicht nachhaltig. Da sehe ich für Norwegen eine Rolle als Teil der Lösung. Wir arbeiten hart an neuen Technologien, um die Kohlendioxid-Emissionen zu senken. Unsere Vision ist es, die CO2-Emissionen ganz zu stoppen, indem wir Technologien einsetzen, um CO2 einzufangen und unterirdisch zu lagern. Gleichzeitig muss Norwegen aber auch zur Energiesicherheit Europas beitragen, gerade bei der Gasversorgung von Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Wir werden ein stabiler Lieferant von Gas sein, haben aber auch Verantwortung für eine Stabilisierung des Klimas.

Sie haben schon einige Erfahrung mit der Lagerung von CO2 …

Wir haben schon vor 15 Jahren eine CO2-Steuer für die Ölindustrie eingeführt. Seit 1996 haben die Ölkonzerne angefangen, CO2 einzufangen und unter dem Meeresgrund zu lagern. Jetzt planen Industrie und Regierung das erste große Gaskraftwerk zur Stromgewinnung ohne CO2-Ausstoß bis 2014. Der Premierminister hat das Projekt als „Mondlandung“ bezeichnet, weil wir dafür einen großen Sprung in der Technologie brauchen. Aber wenn wir das schaffen, können wir diese Lösung auch Entwicklungsländern anbieten.

Investiert Norwegen auch in erneuerbare Energien?

95 Prozent unserer Stromerzeugung basieren auf Wasserkraft. Wir haben also einen hohen Anteil erneuerbarer Energie. Wir wollen nun auch den Ausbau von Windkraft und Wellenkraft fördern. Wir verfügen auch über eine sehr innovative Solarbranche, obwohl wir nicht viel Sonne haben. Auch das wollen wir fördern.

Eine ganz andere Frage. Wie fühlen Sie sich in einem Kabinett, das aus zehn Frauen und neun Männern besteht?

Bis vor einigen Wochen waren wir zehn Männer und neun Frauen. Einen großen Unterschied habe ich nicht bemerkt. Aber ich denke, dass Arbeitsplätzen, an denen nur Frauen oder nur Männer beschäftigt sind, eine wichtige Dimension fehlt. Unser Kabinett ist ausgewogen – auch vom Alter, der Ausbildung, Erfahrung und regionalen Herkunft in Norwegen her. Ich bin stolz, Mitglied einer Regierung zu sein, in der eine Mehrheit von Frauen nicht mehr zu großen Schlagzeilen führt, sondern ganz normal ist.

Das Interview führte Dagmar Dehmer.

Jonas Gahr Störe (46) ist seit 2005

Außenminister der

norwegischen

Regierungskoalition. Zuvor war der Sozial-

demokrat General-

sekretär des norwegischen Roten Kreuzes.

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