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Politik: Der plötzliche Aufsteiger

Alfred Gusenbauer, Chef von Österreichs Sozialdemokraten, dürfte Kanzler in der Alpenrepublik werden

Irgendwer hatte dann doch einen Edding-Stift bei der Hand. Mehrere hundert Leute hatten sich am Sonntagabend in einem Partyzelt vor der Parteizentrale von Österreichs Sozialdemokraten, der SPÖ, gleich neben dem Wiener Burgtheater versammelt. Eine Band war gebucht worden, das ja, ein Catering-Service sollte Bier und Wein ausschenken, und natürlich gab es auch ein Rednerpult. Gegen 19 Uhr, so der Plan, sollte dort Parteichef Alfred Gusenbauer eine Rede halten. Die Organisatoren hatten dafür Tafeln vorbereitet, mit denen die Anhänger winken sollten. „Fair. Gerecht. Dr. Alfred Gusenbauer“ stand da drauf. Und deswegen war der Edding-Stift auch wirklich gut. Kurz bevor Gusenbauer auftrat, wurde er durch die Reihen gereicht, und als der SPÖ-Chef dann tatsächlich auf der Bühne stand, blickte er in eine Reihe von Schildern, die mit einem handschriftlichen Zusatz versehen waren: „Bundeskanzler“ Dr. Alfred Gusenbauer.

Tatsächlich hat das Ergebnis der österreichischen Parlamentswahlen am Sonntag nicht nur die SPÖ-Anhänger vollkommen überrascht, sondern das ganze Land: Die durch den Skandal um die gewerkschaftseigene BAWAG-Bank arg gebeutelten Sozialdemokraten standen als Wahlsieger da. Die konservative ÖVP von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war geschlagen. In allen Umfragen bis knapp vor dem Wahltag hatte Schüssels ÖVP ziemlich deutlich vor der SPÖ gelegen, an einen roten Wahlsieg hatte niemand geglaubt.

Entsprechend groß und vor allem spontan war am Sonntagabend der Jubel in und vor der SPÖ-Parteizentrale. Seit dem Nachmittag hatten diverse Hochrechnungen den Vorsprung der SPÖ prognostiziert, und entgegen allen Gepflogenheiten war fast die gesamte SPÖ-Spitze in den Räumen der Parteizentrale äußerst gesprächig. Der mächtige Wiener Bürgermeister Michael Häupl machte sich bereits eine Stunde vor Schließung der Wahllokale für eine Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP stark: „Natürlich nur, so die ÖVP umzudenken beginnt und sich von ihrem neoliberalen Kurs abwendet und wieder ihre sozialen Wurzeln erkennt. Natürlich nur unter einem Bundeskanzler Alfred Gusenbauer.“

Tatsächlich sieht es so aus, als würde der 46-jährige Sozialdemokrat Alfred Gusenbauer wirklich zum nächsten österreichischen Bundeskanzler aufsteigen und eine links geführte Regierung bilden wird.

Offen ist nur: Mit wem will und kann er regieren? Denn das vorläufige Wahlergebnis ist ähnlich unklar wie der Ausgang der Bundestagswahlen in Deutschland vor einem Jahr. Neben der SPÖ und der ÖVP erreichte die stramm ausländerfeindliche FPÖ von Parteichef Heinz-Christian Strache 11,2 Prozent der Wähler, die Grünen kamen mit 10,5 Prozent auf das beste Ergebnis der Geschichte, wurden aber trotzdem nur viertstärkste Kraft. Und ebenfalls ziemlich überraschend hüpfte Jörg Haiders FPÖ-Abspaltung, das BZÖ, mit 4,2 Prozent ebenfalls ins Parlament. Dadurch wird in Österreich aber de facto nur eine große Koalition unter SPÖ-Führung möglich. Rot-Grün fehlen fünf Mandate zur Mehrheit, und eine technisch mögliche Mitte-Rechts-Regierung von ÖVP, FPÖ und BZÖ wird aufgrund der Streitereien von FPÖ und BZÖ ebenfalls als ziemlich unwahrscheinlich angesehen.

Allerdings kann es hier noch zu massiven Veränderungen kommen: Knapp 400 000 Wahlkarten werden erst in der nächsten Woche ausgezählt sein. Erfahrungsgemäß gewinnen unter Wahlkartenwählern die Grünen stets überproportional dazu, die FPÖ verliert hingegen in dieser Gruppe stets stark. Die Hochrechner gingen am Sonntagabend in Wien davon aus, dass also in einer Woche, nach Auszählung der Wahlkarten, Rot-Grün in Österreich doch noch eine hauchdünne Mehrheit bekommen könnte – und die Karten für die Regierungsverhandlungen wären damit nochmals völlig neu gemischt.

Bis zur Auszählung der Wahlkarten werden in Österreich also keinerlei Regierungsgespräche beginnen – und in der Wahlaufbereitung geht es nun vor allem um den formidablen Absturz der regierenden ÖVP. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wollte am Sonntagabend seinen Rücktritt als Parteichef nicht völlig ausschließen. Beim ÖVP-Parteivorstand am Montag, so Schüssel, wird die Regierungsmannschaft mit den Landeschefs darüber diskutieren, wer die ÖVP in etwaige Verhandlungen führt. Wahrscheinlich wird Schüssel das zwar selbst tun – dass er mit 62 Jahren aber nochmals als Vizekanzler zur Verfügung steht, ist eher unwahrscheinlich.

Markus Huber[Wien]

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