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Politik: Der Recke schwankt

Von Stephan-Andreas Casdorff

Es ist, wie er ist: zögernd, zaudernd, unentschieden. Edmund Stoiber hält die Union hin, hält Angela Merkel hin, weil er sich nicht entscheiden will – oder kann. Will er nun Minister werden? Wenn ja, für was? Und was will er inhaltlich morgen noch? Entscheidungsstark müsse man als Kanzler sein, hat Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002 gesagt und seinen Widersacher Stoiber gemeint. Das Ergebnis ist bekannt. In diesem Wahlkampf sieht es so aus, als ob Stoiber mit seiner Art am Ende wieder zum Unsicherheitsfaktor wird. 2002: Der Sieg war schon fast da, bis der Recke zu schlingern anfing. 2005: Der Sieg ist möglich, und Stoiber sagt heute dies und morgen das. Oder lässt es sagen.

Das alles hilft keinem, Merkel nicht, der Union nicht, Bayern nicht, dem Wähler schon gar nicht. Klar ist nur, dass der Kurs der Union unklar ist. Das Wort Alternative bedeutet: zwei Möglichkeiten. Wer CDU und CSU allein zum Thema Sozialleistungen hört, sieht die. Aber was die Union, also die beiden CParteien zusammengenommen, auch gemeinsam will, steht nicht fest. Immer noch nicht, obwohl sie im Grunde seit Monaten über nichts anderes reden als über Reformen. Die Spitze der CSU wollte dazu lange Zeit das „S“ im Namen, das für sozial steht, herausstellen. Mit Stoiber an der Spitze. Von gekürzten Sozialleistungen war nicht die Rede, Gott bewahre. Die CDU-Spitze wollte dagegen härter rangehen an Subventionen und Sozialleistungen. Heute ist es umgekehrt – verkehrte Welt. Und verwirrte Unionisten.

Die Macht des Ungefähren, um Merkels Vorstellungen einmal präzise auf einen Begriff zu bringen, verliert mählich ihren Reiz. Ungefähr wusste man, dass Merkel in vielen Fällen das Gleiche machen will wie Schröder, weil ja auch im Bundestag so vereinbart und mitbeschlossen. Also nicht alles anders, aber dann vieles besser, in etwa. Mit dem recycelten Spruch kommt allerdings nur durch, wer einigermaßen glaubhaft machen kann, dass es mit ihm besser werden könnte. Zumal heute, in den Zeiten einer implodierenden Sozialdemokratie.

Aber das walte Stoiber, jetzt prescht er los. Nur die Richtung, die scheint mal wieder nicht abgesprochen zu sein. Und Merkel, die lässt ihn laufen. In der Hoffnung, dass er sich verirrt im Gestrüpp seiner Ansichten? Das wäre klug. Denn ein Blick auf Stoibers Lebenslauf zeigt: Der Mann kann Kampagne. Das hat er noch bei Strauß selig gelernt, als dessen Partei-Generalsekretär, das „blonde Fallbeil“ genannt. Da liegt der Gedanke nahe, dass es sich hier auch um eine Ab-Art dessen handelt. Man mag das innerparteiliche Klarstellung nennen – man kann aber auch Ranküne gegen Merkel vermuten. Mit dem Leitspruch: Gewollt haben wir sie nicht, jetzt muss sie das wollen, was wir für richtig halten. Und wenn nicht, dann… Den Gedanken zu Ende zu führen, führt zu weit. Noch. Womöglich ist es alles viel einfacher. Aber der Gedanke ist da, er nistet: Ganz vielleicht ist Stoiber mit der Ansicht nicht ganz allein, denken doch manche vom „Andenpakt“, diesem Bund aufstrebender CDU-Männer, ähnlich. Die können in aller Ruhe zuschauen. Oder im Ton ganz ähnliche Sachen sagen wie Roland Koch, der damit in Richtung Stoiber geht.

Eine kleine Verschwörungstheorie ist das, Beweise gibt es nicht. Es könnte aber geraten sein, in nächster Zeit Beweise dagegen zu liefern. Am 11. Juli wollen CDU und CSU ihr Programm vorstellen, mit dem sie sich zur Wahl stellen. Allein schon für das Programm müssen sich beide Seiten dringend aufeinander zubewegen. Man möchte doch schon genauer wissen, wofür sie die Macht haben wollen. Merkel muss ihre Vagheit aufgeben, damit die nicht zur Verzagtheit in der Union führt. Stoiber muss eine Meinung haben zu Ministeramt und Regierungsthemen, und endlich eine Union mit Merkel eingehen. Beide zusammen müssen das wahren, worauf die Union, nicht nur die CDU, an ihrem 60. Geburtstag so stolz ist: die Erfindung der sozialen Marktwirtschaft. Des sozialen und gerechten und dennoch profitablen Kapitalismus.

Die Aneignung durch Schröder hat längst begonnen.

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