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Politik: Der süße, sanfte Suff

NEUE DROGE ALCOPOPS

Von Tissy Bruns

Eine super Idee, der Flüssigmix aus 23 Zuckerstücken und viel Farbstoff. Alkoholgehalt in der bunten Flasche: der von zwei harten Schnäpsen, die man nicht schmeckt, die trotzdem wirken. Eine führende Wirtschaftszeitung listet die Alcopops unter den Top Ten der erfolgreichsten Produkte des letzten Jahres auf. Und der begehrte Star auf dem Alkoholmarkt – seit 1998 hat sich der Konsum vervierfacht – hat einen ganz besonderen Charme: Er ist billig.

Eltern, Gesellschaft und Staat dürfen sich zu Kindern und Heranwachsenden liberal verhalten oder streng, auf Verbote oder ganz auf Vorbild setzen. Nur gleichgültig dürfen sie nicht sein. Wer Alcopops für ein ganz normales Marktangebot hält, ist naiv und lebensfremd. Denn die süßen Mixturen zielen doch ganz eindeutig auf junge Leute, und viel zu oft sind es Kinder, die zu den bunten Flaschen greifen. Was für Erwachsene und ihren Umgang mit Nikotin, Alkohol und anderen Drogen richtig ist – verantwortlich ist jeder selbst –, das kann nicht die Leitschnur sein, wenn es um Jugendliche geht. Eine Gesellschaft, die tatenlos zusieht, wenn alles Wissen über Sucht und Erwachsenwerden zielstrebig ausgenutzt wird, um Unmündige abhängig zu machen, wäre verantwortungslos gegenüber ihrer Zukunft.

Mit den Alcopos gibt es eine neue Droge. Ihr gefährliches Potenzial liegt in ihrer Harmlosigkeit. Wer heimlich und zu horrenden Preisen kifft oder drückt, weiß immerhin, dass er sich mit einem Feind einlässt. Alcopops sind legal, nicht so teuer und leicht zugänglich. Alkohol ist das traditionelle Rauschmittel unserer Gesellschaft, das bei unzähligen Gelegenheiten – von der würdigen Familienfeier bis zum Studentenfest – seinen Platz hat. Das erste Glas, der erste Rausch gehört deshalb zum Erwachsenwerden. Weil Alkohol hochgefährlich ist, gibt es Warnschilder und Gesetze, die Jugendlichen den Konsum schwer machen. Bier darf erst ab 16 Jahren, harter Alkohol nur an Erwachsene verkauft und ausgeschenkt werden. Lehrer und Eltern folgen mit ihren Geboten meistens dem Jugendschutz. Und die Marktgesetze helfen mit. Die Cola-Rum ist viel, viel teurer als eine schlichte Coke.

Getrunken wird seit jeher trotzdem früher als erlaubt und auch schon mal das Scharfe. Denn nichts ist mächtiger als der Wunsch, das Großsein auszuprobieren. Und dazu in der tollen Lebensphase der Pubertät, in der es ja darauf ankommt, zu lernen, wie das geht: Ohne die Eltern auskommen. Verbote durchbrechen. Sich in der Gruppe behaupten, als Mitmacher, Anführer und Nein-Sager. Das Leben ist, wie es ist: Die ersten Drogenerfahrungen werden in einer Zeit der schwankenden Gefühle und großer Unsicherheiten gemacht. In einer Zeit, in der die Eltern in den Hintergrund rücken.

Umso wichtiger, dass Selbsterziehung und die Erziehung durch Erfahrungen ihre Chancen behalten. Dem Umgang mit Alkohol sind handfeste praktische Grenzen gesetzt. Er ist bitter, er ist teuer. Der Vater, der – jenseits des Jugendschutzes – seinem Zwölfjährigen das erste Bier erlaubt, kann sich darauf verlassen, dass der Junior froh ist, die Mutprobe hinter sich zu haben. Und sie so schnell nicht wieder versucht. Wenn die nächtlichen Disco-Ausflüge beginnen, wird das Taschengeld zum verlässlichsten Regulativ.

Schon immer hat es Jugendliche gegeben, die diese Initiationsriten einer Alkoholgesellschaft nicht gut überstanden haben. Die Alcopops aber hebeln die Grenzen zielbewusst aus. Sie schmecken schon den Jüngsten und wirken verzögert. Die Zahlen über die Alkoholvergiftungen, den Konsum bei Kindern und Mädchen sind erschreckend gestiegen.

Dass dafür auch andere Faktoren verantwortlich sind, macht die Alcopops nicht harmloser. Im Gegenteil, sie sind die ideale Droge für die Lebensverhältnisse von heute. Der süße, sanfte Suff passt fatal gut zu schwacher Lehrerautorität, zu fehlenden Zielen und zum Fürsorgeverlust in den Familien. Wo frühere Generationen ihre Kräfte in wilden Autofahrten oder mit dem kreisenden Joint auf der Party erprobten, neigt die von heute zum Kampftrinken. Die Mittel sind leicht zu beschaffen, und mancher fällt ins Koma, weil ihm nicht rechtzeitig kotzübel wird.

Die Gesellschaft ist dumm, die da unterlässt, was leicht zu machen ist: Alcopops müssen drastisch teurer werden.

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