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Ein echter Regionalist. Zu Alexander Dobrindt passen am besten Trachtenjanker und Bergstiefel. Sein Berliner Look wirkt eher wie eine Verkleidung. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

© dpa

Politik: Der Synchronschwimmer

CSU-General Dobrindt ist absolut loyal zu Parteichef Seehofer – das könnte ihn zum Minister machen.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Der Mann mit der dicken schwarzen Brille lächelt still in sich hinein. Ganz links von ihm hat die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gerade die inszenierten Krawall-Aktionen gewisser Parteifreunde als normale Begleitmusik schwieriger Koalitionsverhandlungen abgetan, im Moment zeigt der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe großzügiges Verständnis für Aussetzer nach Mitternacht. Alexander Dobrindt müsste also nicht unbedingt auch noch etwas sagen. Aber seine freundliche Unschuldsmiene ist ein sicheres Zeichen: Gleich kommt was.

Und wirklich, Dobrindt liefert. „Wir lassen uns unsere Diskussionskultur durch Harmonie nicht stören“, resümiert der CSU-General den koalitionären Theaterdonner. Die zwei anderen stutzen. Dobrindt lächelt immer noch freundlich. Die Einblendung in der „Tagesschau“ hat er für heute wieder sicher. Und außerdem ist der Scherz eigentlich gar keiner, sondern pure christsoziale Dialektik.

Mit Dialektik kennt er sich aus, der Mann hat Soziologie studiert. Mit der speziell bayerischen Variante von These, Antithese und Synthese kennt er sich auch aus, schließlich hieß sein Wahlkreisabgeordneter Franz Josef Strauß. Man tut klug daran, beides im Blick zu behalten, wenn man sich die jüngsten Verwandlungen des Alexander Dobrindt zu erklären versucht – genauer gesagt: die Verwandlungen, die das Bild gerade erfährt, das sich viele von Dobrindt machen.

Dieses Bild fiel lange schlicht aus: Krawallbruder. Spätestens seit seinem legendären „Wildsau!“-„Gurkentruppe!“-Duell mit der FDP hatte der 43-Jährige den Ruf des Raufbolds weg. Was sollte man sonst auch von einem erwarten, der es in seinem Heimatdorf Peißenberg drei Mal bis zum Schützenkönig brachte! Und Dobrindt befestigte den Ruf, polemisierte gegen die Grünen, bis die ihn vor lauter Wut verklagten, und giftet gegen Europa wie sonst nicht einmal der Peter Gauweiler.

Das kommt in beiden Fällen durchaus von Herzen. Der Dobrindt, sagt ein CSU- Europapolitiker, der stamme aus einer Ecke, wo man allenfalls noch München als Herrschaft über sich akzeptiere, aber keinesfalls eine noch entferntere Macht. Da ist etwas dran. Dobrindts Anti-Europäertum ist das eines stolzen Regionalisten, der im Trachtenjanker oder mit Bergstiefeln nicht im Mindesten verkleidet aussieht. Verkleidet wirkt er da eher mit spitzen braunen Schuhen und extravaganter Krawatte vor den Kameras in Berlin.

Aber spätestens seit diesem Bundestagswahlkampf ist auch dort manchem aufgegangen, dass der CSU-General seine Abneigungen nicht blindwütig auslebt, sondern taktisch. Die Grünen sind gewiss nicht allein daran gescheitert, dass sich Dobrindt ihre Steuerpläne und die Pädophilie-Debatte polemisch, ja bösartig vorgeknöpft hat – aber der Radau aus München trug dazu bei, Jürgen Trittins Wahlkampf aus dem Tritt zu bringen.

Gleichzeitig hat Dobrindt in Bayern einen Wahlkampf organisiert, der noch Schule machen dürfte. Dass moderner Stimmenfang sich nicht auf Marktplatz- oder Bierzeltreden beschränken kann, ist allgemein akzeptiert. Aber noch keiner hat aus dieser Binse derart konsequent ein Gegenmodell entwickelt. Die CSU zog maßgeschneidert in die Schlacht – jeder CSU-Promi in seinem eigenen, auf ihn und seine Anhänger abgestimmten Format: Die Gauweiler-&-Scharnagl-Show für die „Bayern zuerst“-Traditionalisten, der Talk mit Edmund für die alten und die jungen Stoiber-Fans, das lockere Gespräch für Horst Seehofer, der als Bierzeltredner nämlich ziemlich lausig ist.

Hinter diesem Feldzug steckt nicht nur Lernen von Amerika, sondern auch eine nüchtern-soziologische Analyse der Wählerschaft, ihrer Wünsche, Sorgen und Befindlichkeiten. Dobrindt ist ohnehin ein guter Zuhörer und einer, der sich so seine Gedanken macht. Wer ihn in kleinem Kreis erlebt hat, trifft einen, der überlegt, ja geradezu bedächtig argumentiert.

Verblüfft hat das sogar Angela Merkel. „Der Dobrindt hat ja an Statur gewonnen“, hat kurz nach dem Wahlabend einer aus ihrem Umkreis gestaunt, der den Bayern bisher nur als Schreihals verbucht hatte. Auch Seehofer weiß seither endgültig, was er an dem Mann hat. Dobrindt ist der Einzige, über den er nie einen seiner gefürchteten Späße gemacht hat.

Dafür verliert Dobrindt nie ein illoyales Wort über den Chef. Die Aufgabe des Generalsekretärs, hat er einmal erläutert, bestehe im „Synchronschwimmen“ mit dem Vorsitzenden. Das ist bei Seehofers abrupten Kurswechseln eine anspruchsvolle Jobbeschreibung, aber Dobrindt löst das Problem unauffällig: Er hält sich aus vielen Fragen im Grunde raus und bearbeitet dafür umso beharrlicher seine Lieblingsthemen.

Deshalb ist der Scherz mit der Harmonie in Wahrheit gar keiner. Der Satz ist ernst gemeint. Während Nahles und Gröhe von großer Einigkeit im Europa- Teil des künftigen Koalitionsvertrags künden, zählt der CSU-Mann ungerührt auf, was seine Partei jetzt bitte gerne noch obendrauf hätte: die Verkleinerung der EU-Kommission zum Beispiel oder Volksabstimmungen über Europa-Fragen.

Beides wird kaum je im Koalitionsvertrag stehen, da ist Merkel vor. Aber das ist egal. Die Wähler sollen sehen, wie die CSU dieses verhasste „Brüssel“ stutzen würde, wenn man sie nur ließe. Seehofer hat die Koalitionsverhandlungen als Plattform entdeckt, um den Wahlkampf für die Europawahl 2014 zu eröffnen. Und Dobrindt schwimmt wieder synchron mit. Zur Belohnung kann er auf ein Ministeramt bauen. Er wird dann übrigens, als Bundesminister für was auch immer, viel in Brüssel zu tun haben. Es gibt welche unter den CSU-Europapolitikern, die sich darauf jetzt schon diebisch freuen.

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