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Nach mutmaßlicher Terrorattacke in London: Blumen am Tatort niedergelegt.

© AFP

Exklusiv

Der Terrorakt von London: Gewaltforscher Zick zum Terrorakt in London: "Eine Form ritueller Hinrichtung"

Europa ist schockiert von einer Bluttat, bei der zwei Männer einen britischen Soldaten in London auf offener Straße brutal ermordeten. Der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick sieht darin eine neue Dimension der Gewalt.

Von Matthias Schlegel

Herr Zick, die Tat in London ist mit äußerster Brutalität ausgeführt worden. Haben wir es mit einer neuen Qualität des Terrors zu tun?
Ja, es ist tatsächlich eine neue Dimension von Gewalt. Wir haben es hier mit einer Form der rituellen Bestrafung, einer rituellen Hinrichtung zu tun, die wir aus dem afrikanischen Kulturkreis – etwa bei Stammeskriegen – kennen, aber nicht aus Europa. Dass es in eine islamistisch-terroristische Ideologie eingebettet wird, ist relativ neu. Es gab bislang nur Ankündigungen im Internet, vollzogen wurde es bislang noch nicht.

Wie entwickeln Menschen eine derartige Brutalität?
Durch eine absolute Dehumanisierung des Opfers. Das Opfer wird nicht mehr als Mensch oder als Soldat gesehen. Es ist für sie ein notwendiges Opfer, das gebracht werden muss. Das sieht man an dem einzigen menschlichen Moment in dem Video: Dass sich die Täter bei den Frauen entschuldigen, dass diese das mitansehen mussten. Im Vorfeld werden sich die Täter über lange Zeit furchtbar radikalisiert haben und werden sich irgendwann gemeinsam entschieden haben, es bestehe eine absolut unumkehrbare Notwendigkeit zur Tat. Das ist bei anderen terroristischen Anschlägen ähnlich.

Der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick sieht in dem brutalen Mord eines Soldaten in London eine neue Dimension der Gewalt.
Der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick sieht in dem brutalen Mord eines Soldaten in London eine neue Dimension der Gewalt.

© promo

Ist das noch politischer Fanatismus oder schon krankhafte Mordlust?
Das erscheint uns nur so furchtbar krankhaft. Das gehört aber mit zur Ideologie. Und die Täter denken ja, dass wir als Westen in ihrer islamischen Welt genauso bestialisch vorgehen wie sie. Das ist eine Form absoluter Rache: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Was bedeutet diese Selbstdarstellung am Tatort?
Sie wollen mit der Tat maximale Aufmerksamkeit erzielen, das gehört zu dieser Form des Terrorismus hinzu. Sie posieren dort als Helden – man hat ja vermeintlich selbst ein Opfer gebracht, indem man diese Tat begangen hat und sich nun niederschießen oder inhaftieren lässt. Da spielt auch ein Heroenmythos hinein.

Muss uns das für die Zukunft beunruhigen?
Ja, mich beunruhigt das. Bei der Terrorismus- und Gewaltforschung treibt uns immer um, dass eine Gewalttat, die solch eine große Öffentlichkeit bekommt, ein Modell für Folgetaten sein kann.

Ist die zivilisierte Welt dagegen wehrhaft?
Ja, ich glaube schon. Zwar dürfen wir uns nie vormachen, dass wir so etwas komplett aufhalten können. Es ist wahnsinnig schwer vorhersehbar. Aber wenn es gelingt, die Milieus auszumachen, aus denen solche Taten kommen, ist das die beste Prävention.

Andreas Zick ist seit 9. April dieses Jahres Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Er folgte in dieser Funktion Wilhelm Heitmeyer.

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