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Politik: Der Weg aus dem gelobten Land

SCHRÖDER UND DIE SPD

Nehmen wir den Kanzler also beim Wort. Freuen wir uns auf ein Leben im künftigen „Zentrum der Zuversicht“. Dank seiner „Agenda 2010“ hat Deutschland einen Fahrplan für die Zukunft, ein Handbuch, in dem steht, wie der erstarrte Arbeitsmarkt aufgeweicht, wie das chronisch kranke Sozialsystem gesund werden kann – eine Handlungsanweisung für Wachstum und Zuversicht. Schon nächstes Jahr sollen Lohnnebenkosten und Arbeitslosenzahl gesunken sein. Spätestens im Wahljahr 2006 soll es Deutschland wieder gut gehen. Dem Kanzler und seiner Partei sowieso. Der nächste Wahlsieg scheint gesichert.

Genug geträumt. Für Schröder und die SPD ist dieser Reformprozess eine gigantische Chance. Und zugleich ihr größtes Risiko. Eine Schicksalsfrage. Gelingt es, die Reformen umzusetzen, könnte Schröders Traum Wirklichkeit werden. Gelingt es nicht, hat die SPD ihren Anspruch beerdigt, die bessere Regierungspartei zu sein. Das wäre ihr Ende, zumindest vorläufig. Schon jetzt, zwei Wochen nach Schröders Reformrede, droht der große Wurf zum Würflein zu schrumpfen.

Denn gleich zu Beginn dieses Prozesses erhebt sich ein Armeechen der Aufrechten in der SPD-Fraktion, deren Widerstand das Ende von Schröders Kanzlerschaft bedeuten könnte. Acht Abgeordnete in etwa, plus oder minus, sind es, die jetzt schon zu wissen glauben, dass sie zentralen Reformvorhaben nicht zustimmen werden. Bei einer Regierungsmehrheit von vier Stimmen kann das eine mächtige Gruppe werden. Ihre Entschiedenheit darf der Kanzler nicht unterschätzen, weil es nicht nur Wichtigtuer sind. Schröder hat es mit Überzeugungstätern zu tun, für die das Recht auf vollen Kündigungsschutz oder ein ordentliches Arbeitslosengeld Fragen der Menschenwürde sind – und damit Gewissensfragen. Für sie ist es fast so, als müssten lebenslange Pazifisten auf einmal für einen Angriffskrieg votieren.

Doch das wichtigste Argument der Sozialpazifisten ist auch das gefährlichste für Schröder: Für diese Reformen haben ihn die meisten Menschen nicht gewählt! Für diese Reformen haben die vielen Sozialdemokraten ihn nicht unterstützt! Die Beteuerungen der Spitzengenossen, das Reformpaket sei zutiefst sozialdemokratisch, wirken wie trotziges Propagandageheul. Die acht Dissidenten dürfen sich zu Recht als Anwälte einer frustrierten SPD-Basis sehen. Schröder hat ein Motivationsproblem, weil die Basis ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Wie etwa sollen die Genossen jetzt die Privatisierung des Krankengeldes verteidigen, wo sie noch vor kurzem leidenschaftlich gegen Kohls Kürzung der Lohnfortzahlung wetterten?

Jetzt rächt sich, dass Gerhard Schröder das Amt des Parteichefs nur formal, aber nie mit dem Herzen angenommen hat. Auf jene Reformpläne, die als mutig gelten, für Sozialdemokraten aber nicht traditionskonform sind, hätte Schröder die Genossen einschwören müssen. Jetzt erst, viel zu spät, werden Regionalkonferenzen einberufen, die den Schein innerparteilicher Demokratie erwecken und die Revolution des Parteiprogramms von oben kaschieren sollen. Hätte der Boss der Genossen seine Leute motivieren wollen, den sozialdemokratischen Revolutionspfad gemeinsam zu gehen, hätte er früher die Diskussion suchen müssen. Jetzt aber erwacht eine von Schröder eingeschläferte Partei voller Schrecken. Weil sie nicht vorbereitet wurde auf ihr Godesberg der Innenpolitik.

Nun richten sich die Kanzlerhoffnungen auf Fraktionschef Franz Müntefering. Der selbstbewusste Diener hat für Schröder als Parteichef im Generalsgewand schon einmal die SPD zusammengehalten. Müntefering muss in der Fraktion nun nachholen, was Schröder im Umgang mit der Partei versäumt hat. Er muss sich Zeit nehmen, Gespräche mit seinen Abgeordneten führen, Verständnis für deren Probleme zeigen. Er muss all jene Argumente aufbringen, die es für den bitteren Abschied von sozialdemokratischen Errungenschaften gibt. Errungenschaften, auf die man einst stolz sein konnte, weil sie in Zeiten des Wachstums Fortschritt bedeuteten. Heute aber verhindern sie den Fortschritt. Demokratie kann mühsam sein, wenn sie Erfolg haben will. Dass der Einsatz sich lohnt, kann Müntefering seinem Kanzler nun beweisen.

Markus Feldenkirchen

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