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Politik: Der zweite Winter im Zelt

Ein Jahr nach dem Erdbeben in Pakistan kritisieren Überlebende die Regierung: Das Geld kommt nicht an

Vor genau einem Jahr sind bei einem verheerenden Erdbeben im Norden Pakistans rund 80 000 Menschen umgekommen, weitere 3,5 Millionen wurden obdachlos. Während der strenge Winter vom Himalaja-Gebirge näher rückt, begehen 1,8 Millionen Überlebende in Kaschmir und der nordwestlichen Grenzregion den Tag der Trauer in improvisierten Unterkünften – frierend und unsicher.

Hunderttausende Überlebende warten wie Abdul Qayyum aus Balakot darauf, dass das versprochene Geld endlich ankommt, mit dem sie ihre Häuser wieder errichten können. Gleichzeitig wird die Regierung von Präsident Pervez Musharraf immer stärker von Hilfsorganisationen wie beispielsweise Oxfam aus Großbritannien angegriffen. In einem aktuellen Bericht kritisiert Oxfam die Musharraf-Regierung für ihr Missmanagement, ihre Ineffizienz und das Versagen, die Korruption bei der gigantischen Aufgabe, den Überlebenden Unterkünfte zu bauen, einzudämmen. „Eine Kombination aus einer stark zentralisierten Politik sowie ein Mangel an Klarheit über Aufgaben und Zuständigkeiten“ sei dafür verantwortlich, dass viele Überlebende kein Dach über dem Kopf hätten und einem zweiten Winter in Lagern entgegensehen müssten.

Einen Tag nach der Veröffentlichung sagte Musharraf vor der ersten Jahreskonferenz zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben bitter, Oxfam sei ein „Untergangsprediger“ und der Bericht „unerfreulich“. Er dagegen appellierte an die internationale Gemeinschaft, ihre Versprechen von 6,5 Milliarden Dollar zu erfüllen, und bat um weitere 800 Millionen Dollar, um 20 000 Häuser mehr in der Erdbebenregion zu errichten. Musharrafs Bitte um mehr Geld wurde von Kritikern und Medien zornig kommentiert. Schließlich hatte er erst in dieser Woche einen Vertrag über mehrere Milliarden Dollar zum Kauf amerikanischer F-16-Kampfflugzeuge unterzeichnet. Musharraf versprach, die Regierung werde genau dokumentieren, wohin das Geld der internationalen Geber und privaten Spender geflossen sei. Nach jüngsten Schätzungen wird der Wiederaufbau rund 4,3 Milliarden Dollar kosten, bisher war die Regierung von 3,7 Milliarden Dollar ausgegangen.

Abdul Qayyum, der im Erdbeben nicht nur sein Haus, sondern auch seine halbe Familie verloren hat, sagt: „Sie machen immer wieder die alten Versprechungen. Dabei haben sie noch nicht einmal entschieden, wo die neue Stadt Balakot aufgebaut wird.“ Von den 450 000 zerstörten Häusern sind nach offiziellen Angaben nur 17 Prozent wieder aufgebaut. Die Überlebenden hausen überwiegend in Behelfsbauten aus Holz.

Dem Chaos des 8. Oktober 2005 folgte eine Phase der Verwirrung und Dumpfheit. Ein Volk musste damit klarkommen, dass mehr als 80 000 ihrer Angehörigen getötet worden waren, viele weitere waren lebensgefährlich verletzt, die gesamte Infrastruktur war zusammengebrochen. Nun fühlen sich die Überlebenden von der Langsamkeit der Regierung überwältigt. Der Mangel an Information und die allgegenwärtige Korruption haben ihre Kräfte aufgebraucht. Die Bewohner kleiner Dörfer im Hochgebirge trifft dies besonders hart. Der eben erst abflauende Monsunregen hat die Leiden noch verschärft, weil halb fertig gebaute Häuser oder Straßen weggespült worden sind. Damit waren viele Überlebende wieder am Nullpunkt angekommen – ohne große Hoffnung auf die Zukunft.

Hilfsorganisationen glauben, es werde bis zu sieben Jahre dauern, bis das Bildungssystem wieder funktionieren wird. 8000 Schulen wurden beschädigt oder ganz zerstört. Katastrophenexperten erwarten, dass der Wiederaufbau Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Dagegen verspricht die Regierung, der Großteil des Wiederaufbaus werde 2009 geschafft sein.

Absar Alam leitet das Büro der Zeitung „The Nation“ in Pakistans Hauptstadt Isalamad. „The Nation“ ist die wichtigste englischsprachige Zeitung im Land. Übersetzung: Dagmar Dehmer.

Absar Alam[Islamabad]

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