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Oft einander abgewandt: Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben keine harmonische Beziehung.

© dpa/Michael Kappeler

Deutsch-französische Kooperation: Streiten kann auch heilsam sein

Nahezu täglich treffen sich jetzt Regierungsmitglieder. Nach dem Eklat der abgesagten Regierungskonferenz arbeiten Macron und Scholz ungewöhnlich zügig an der Reparatur der gestörten Beziehungen.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Schreck über das Ausmaß des Zerwürfnisses und das internationale Echo darauf ist den Verantwortlichen in Berlin und Paris offenbar in die Glieder gefahren. Die Reparaturarbeiten erreichen ein Tempo, das in der sonst eher bedächtigen Ministerialbürokratie selten ist.

Drei Monate hatten die Teams um Emmanuel Macron und Olaf Scholz für einen neuen Anlauf veranschlagt, als die Regierungskonferenz im Oktober kurzfristig abgesagt wurde. Sie wollten zuvor ausmessen, wie weit die Gemeinsamkeiten noch reichen.

Das Treffen der beiden Kabinette wurde auf Januar verschoben – auch in der Hoffnung, dass das 60-jährige Jubiläum des Elysée-Vertrags dann einen kooperativen Grundton setzt.

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Nun jagt ein hochrangiges Treffen das andere. Vergangene Woche war Verkehrsminister Volker Wissing in Paris. Am Montag trafen sich die Außenministerinnen Annalena Baerbock und Cathérine Colonna, am Dienstag die Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Robert Habeck, am Freitag besucht Regierungschefin Elisabeth Borne Olaf Scholz.

Kann das „couple franco-allemand“ – Franzosen bevorzugen das Beziehungsbild des Paares, Deutsche technische Begriffe wie „deutsch-französischer Motor“ oder „Tandem“ – seine Zwistigkeiten rasch überwinden? Nein, natürlich nicht.

Lange Liste an Streitpunkten

Die Liste der Streitpunkte ist umfangreich: Energiepolitik in Zeiten von Klimakrise und Preisspirale; europäische Verteidigung als Lehre aus dem Ukrainekrieg; Umgang mit China als Prüfstein, wie Europa seine Interessen gegen autoritäre Mächte vertritt; Migration, innere Sicherheit und Terrorabwehr angesichts des Scheiterns der Militärmission in Mali;. Dorthin hatte Deutschland die Bundeswehr auf Bitten der Franzosen geschickt, die inzwischen abgezogen sind.

Da ist nachhaltige Beziehungsarbeit nötig. In vielen Streitfragen sehen sich Macron und Scholz jeweils subjektiv im Recht. Ihr Vorgehen folgt nationalen Interessen.

Macron ist, zum Beispiel, sauer, dass Deutschland die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht in europäische Rüstungsprojekte steckt. Die werden freilich erst in ferner Zukunft ausgeliefert. Deutschland muss die Ausrüstungslücken rasch füllen und kauft, was auf dem Markt ist, darunter US-Jets und Luftabwehr aus Israel.

Macron blockierte die Gasröhre Spanien-Deutschland

Jede Seite hat Beispiele, was die andere falsch macht: Warum blockierte Macron eine Gaspipeline von Spanien über Frankreich nach Deutschland? Warum reiste Scholz allein statt mit Macron nach China? Warum stimmt man sich in Mali nicht besser ab und macht bei der Hilfe für die Ukraine nicht mehr gemeinsam?

Die dichte Abfolge der Besuche zeigt, dass Berlin und Paris zu dieser mühsamen Verständigungsarbeit bereit sind. Mehr noch: sie als Priorität definieren.

Das war nicht immer so. Ihre Vorgänger haben sich dem Druck oft entzogen. Macron musste fünf Jahre warten, ehe er eine ernsthafte Antwort auf seine Sorbonne-Rede und die europapolitischen Vorschläge erhielt. Angela Merkel war dem ausgewichen. Olaf Scholz wagte sich in Prag an die Herausforderung.

Ob „Ehepaar“ oder „Motor“: Einem Missverständnis kann man kaum oft genug entgegentreten. Diese Beziehungen sind nicht deshalb so wichtig für Europa, weil Franzosen und Deutsche ähnlich denken und fühlen. Im Gegenteil. Ihr Verhältnis ist entscheidend, weil sie sich in vielen Dingen nicht einig sind und oft unterschiedliche Interessen verfolgen.

Streit zwischen ihnen muss sein. Aber ebenso der Wille, sich zu verständigen. Wenn Berlin und Paris sich trotz ihrer Gegensätze einigen, kann dies als Grundlage dienen, welche Lösungsansätze für alle 27 EU-Staaten tragfähig sind.

Positive Beispiele sind der Wiederaufbaufonds nach der Corona-Rezession, die gemeinsamen europäischen Ansätze zur Bekämpfung der Pandemie sowie vor Jahren der Aufbau von Airbus oder der Euro als gemeinsame Währung.

Auch diese Erfolge gelangen nicht auf Anhieb, sondern nach teils heftigen Konflikten. Streit kann durchaus heilsam sein.

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