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Deutsche EU-Präsidentschaft: Skepsis über die "Krake" Europa

Die Europäische Union muss nach Ansicht deutscher Spitzenpolitiker wieder mehr Bürgernähe entwickeln. Vor allem die deutschen Ministerpräsidenten beklagen Einmischung und ausufernde Bürokratie.

Berlin/Brüssel - Der wachsende Einfluss Brüssels auf die Belange der Mitgliedsstaaten und eine ausufernde Bürokratie bereiten mehreren deutschen Ministerpräsidenten Sorge. Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Anfang 2007 wird auch die Hoffnung verbunden, doch noch zu einer EU-Verfassung zu kommen.

"Viele Entscheidungen aus Brüssel sind aus Sicht der Bürger zu abgehoben und unverständlich", rügte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Er kritisierte zudem die Regelungsbefugnisse der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten. Es gebe Dinge, bei denen die EU "des Guten zu viel tut und es deshalb auch Widerstand in den Ländern und auch in der Bevölkerung gibt".

Brüssel kann nicht alles regeln

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sieht eine wachsende Distanz der Menschen zu den europäischen Institutionen. Europa dürfe sich nicht "in alle Lebensbereiche wie eine Krake vordrängen". Bei neuen Vorhaben müssten die bürokratischen Folgen besser bedacht werden. Zudem könne nicht alles in Brüssel geregelt werden. Er wünsche sich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als EU-Ratspräsidentin auf besonnene und zurückhaltendere Gesetzgebungsverfahren dringen werde.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) erwartet ebenfalls einen besseren Schutz föderaler Strukturen vor Eingriffen aus Brüssel. Typische Institutionen in Deutschland unter Länderhoheit wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder das "bewährte Sparkassensystem" müssten vor "gleichmacherischen Attacken" aus der EU-Bürokratie geschützt werden. "Das Subsidiaritäts-Prinzip muss in Zukunft auch in Europa konsequenter angewendet werden", verlangte er.

Transparenter und bürgernäher

"Die Menschen sehen mit großer Sorge, dass Europa immer mehr Lebensbereiche bis ins Detail regeln will", kritisierte Bayerns Europaministerin Emilia Müller (CSU). Transparenter und bürgernäher müsse die EU werden. Dazu liefere der Verfassungsentwurf wichtige Bausteine. Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt verlangte weniger Regulierung und Bürokratie.

Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit gab zu bedenken, dass Europa ohne einen Verfassungsvertrag politisch gefesselt bleiben würde. Die Welt brauche ein handlungsfähiges Europa und einen EU-Außenminister, der die "politische und ökonomische Potenz Europas in den Krisenregionen einbringen" könne, argumentierte er.

Zukunft eines sozialen Europas zeigen

Nach Ansicht von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kann der EU-Verfassungsprozess aber nur dann wieder in Gang kommen, wenn er die Zukunft eines sozialen Europas aufzeige. "Das Nein der Franzosen und Holländer ist nicht so sehr ein Nein zur Verfassung, sondern Ausdruck der Angst vor einem asozialen Europa", sagte Thierse. Diese Angst werde von der Mehrheit der Europäer geteilt.

EU-Kommissar Günter Verheugen räumte ein, er sehe mit einem "gewissen Entsetzen", dass die Skepsis hinsichtlich der EU-Erweiterung in der Bundesrepublik von allen Mitgliedsstaaten am größten sei. Gerade im größten Exportland der EU sollte jedermann klar sein, "dass dieses Land wie kein anderes davon abhängig ist, dass Europa funktioniert". (Von Peter Kosfeld, dpa)

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