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Politik: Deutschland macht mehr Schulden

Wegen großer Steuerausfälle / EU droht mit Strafe – aber Kommissionschef Prodi nennt den Stabilitätspakt dumm

Berlin. Der Bund muss in diesem Jahr deutlich mehr Schulden machen als geplant. Nach Angaben aus Koalitionskreisen wird die Kreditaufnahme die veranschlagten 21,1 Milliarden Euro um mindestens zwölf Milliarden Euro übersteigen. Nach skeptischen Tönen aus Deutschland und Frankreich hat am Donnerstag auch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi massive Kritik am europäischen Stabilitätspakt geübt. Das Vertragswerk sei „dumm“, sagte Prodi. Die CDU forderte Finanzminister Eichel zum Rücktritt auf. Ein Minister „mit so unseriösem Verhalten ist für unser Land nicht mehr tragbar“, sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer.

Eichel bereitet nach Angaben aus Koalitionskreisen bereits einen Nachtragshaushalt für 2002 vor. Die Nettokreditaufnahme werde zwischen 33 und 37 Milliarden Euro liegen, hieß es. Die Steuereinnahmen waren im September erneut geringer ausgefallen als angenommen. Am Mittwoch hatte der Finanzminister erstmals zugegeben, das deutsche Haushaltsdefizit werde in diesem Jahr vermutlich über der Drei-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts liegen.

Der Euro-Stabilitätspakt sei verbesserungsbedürftig, sagte EU-Kommissionspräsident Prodi in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“. Eine „rigide, dogmatische Anwendung des Paktes, die die wirtschaftlichen Realitäten nicht berücksichtigt“, sei dumm. Erst am Mittwoch hatte die Kommission gegen Portugal ein Verfahren wegen des Überschreitens der Defizit-Grenze eingeleitet.

Zustimmung erhielt Prodi von Frankreichs Finanzminister Francis Mer. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und andere SPD-Politiker hatten die Kriterien als zu starr bezeichnet. Die Europäische Zentralbank (EZB) forderte dagegen am Donnerstag in ihrem Monatsbericht die europäischen Regierungen zu strengerer Haushaltsdisziplin auf.

Wenn Deutschland die Maastricht-Kriterien nicht einhalten kann, droht nach Worten von EU-Währungskommissar Pedro Solbes ein Defizitverfahren der EU. Sein Sprecher kündigte an, Solbes werde voraussichtlich am kommenden Donnerstag zu Gesprächen mit Eichel nach Berlin fliegen. Spätestens am 13. November werde die EU-Kommission über ein Strafverfahren entscheiden, sagte der Solbes-Sprecher. Dann wird die Herbstprognose der EU-Kommission veröffentlicht.

CDU-Chefin Angela Merkel warf der Bundesregierung Wahlbetrug vor. Der gesamte Wahlkampf der Koalition habe aus „Lug und Trug“ bestanden. Der frühere Finanzminister Theo Waigel (CSU), der den Stabilitätspakt mitgestaltet hatte, sprach von einem „Offenbarungseid“ der rot-grünen Bundesregierung. Die Vorwürfe der Opposition wies die neue Grünen-Fraktionsvorsitzende Krista Sager zurück. Deutschland müsse weiter das „Sonderproblem Deutsche Einheit“ schultern.

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