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Politik: Deutschland, wie es ist Von Frank Jansen

Wir dürfen uns wundern. Die Fußballweltmeisterschaft ist schon zwei Wochen alt, doch die befürchteten Provokationen von NPD und Neonazis bleiben nahezu aus.

Wir dürfen uns wundern. Die Fußballweltmeisterschaft ist schon zwei Wochen alt, doch die befürchteten Provokationen von NPD und Neonazis bleiben nahezu aus. Mehr noch: Die NPD, sonst für jeden lautstarken Auftritt zu haben, hat bislang während der WM auf eine große Demonstration verzichtet. Die Städte, in denen die iranische Nationalmannschaft spielte, wurden nicht mit massiven Propagandakampagnen überzogen. Die angekündigte Huldigung der Partei für den Staatspräsidenten des Irans, den Israel- Hasser Mahmud Ahmadinedschad, war kaum zu vernehmen. Und selbst die noch rabiateren Neonazis nahmen es hin, dass die Stadt Frankfurt am Main den für vergangenen Sonnabend geplanten Aufmarsch am Rande des Spiels Portugal gegen Iran verbot. Sind Medien, Politik und Sicherheitsbehörden auf die Drohpropaganda der Rechtsextremisten vor der WM hereingefallen? Wurde die Gefahr aufgebauscht? Die Antwort fällt anders aus, als noch Anfang Juni zu vermuten war.

Es ist die Weltmeisterschaft selbst, die NPD und Neonazis zu unüblicher Stille zwingt. Überrascht von dem friedlich-fröhlichen Massenpatriotismus der deutschen Fußballfans zucken die braunen Demagogen zurück. Sie spüren: Wer jetzt Hassparolen in die schwarz-rot-goldene Jubelorgien spuckt, stigmatisiert sich selbst. Ein Ideologe der rechtsextremen Szene hat kürzlich im Internet verkündet, „bei den vielen deutschen Fußballpatrioten dürfte die zu dieser Zeit demonstrierende NPD als Störenfried daherkommen“. Provokation sei eben nicht alles. Der Mann hat’s gemerkt. Die WM taugt nicht zur Kulisse für Spektakel von Rassisten. Die Welt ist, nicht nur an den Spielstätten, tatsächlich zu Gast bei Freunden. Fußball fördert in diesen Tagen die Toleranz und damit die Demokratie. Wer hätte das prophezeien mögen?

Von der WM geht ein Impuls aus, den man später vielleicht einmal historisch nennen wird. Das Land ist zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung bei sich selbst angekommen. Die Deutschen in Ost und West identifizieren sich gleichermaßen mit den Farben schwarz- rot-gold. Auch wenn es vielen Fußballfans allenfalls unterschwellig bewusst ist: In ihrer Begeisterung für die deutsche Trikolore bekennen sie sich zu einem Symbol, das für Freiheit steht, für politische Emanzipation, auch für ein multikulturelles Land. Und damit gegen jede Propaganda für eine Diktatur, gegen Nationalismus, gegen rassistischen Wahn. So bedeutet die schwarz-rot-goldene Fußball-Euphorie eine historische Chance auf mentalen Fortschritt – falls es gelingt, nach der WM die Erinnerung an den Deutschland-Jubel als untrennbare Einheit mit Weltoffenheit und Selbstgewissheit einer Demokratie zu bewahren. Auch, wenn die Nationalelf doch nicht Weltmeister geworden sein sollte.

Nutzen die Demokraten diese Chance nicht, kommen die rechten Rattenfänger wieder hervor. Sie sind ja nicht weg. Ihre Zurückhaltung bei der WM zeugt zudem von mehr taktischer Intelligenz, als ihnen zuzutrauen war. Die NPD hofft, wenn sie jetzt nicht als Störenfried auffällt, bei den Wahlen in Mecklenburg- Vorpommern im September in einen zweiten ostdeutschen Landtag einzuziehen. Umfragen zeigen: Die Gefahr ist da. Außerdem tobt während der WM der rechte Straßenterror weiter. Er wird nur weniger wahrgenommen, auch weil es bislang keinen der angereisten ausländischen Fans getroffen hat. Es ist bitter nötig, dass die Demokratie den Patriotismus gegen den braunen Ungeist wendet.

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