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Der Reichstag an der Spree in Berlin

© dpa

Der Bundestag und die Krise: Ein Parlament entmachtet sich selbst

Die Regierung vergibt Steuermilliarden an kriselnde Banken – und legt niemandem Rechenschaft über ihr Handeln ab. Ein kleines Parlamentsgremium darf Fragen stellen, doch die Antworten müssen geheim bleiben. Sechs Volksvertreter berichten von der Selbstentmachtung des Bundestages.

Wenn Albert Rupprecht über seine derzeit wichtigste Aufgabe spricht, spart er nicht an dramatischen Worten. Über „schwerste Verwerfungen“ oder „gefährliche Gratwanderungen“ redet er dann und über „die Katastrophe, die wir jeden Tag verhindern müssen“. Das klingt nach Notarzt oder Bergwacht, aber Rupprecht befasst sich nicht mit der Rettung von Menschen, sondern mit der Rettung von Banken. Der studierte Volkswirt vertritt für die CSU im Bundestag den Wahlkreis Weiden und führt den Vorsitz in jenem Gremium des Parlaments, das Finanzminister Peer Steinbrück und dessen „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ (Soffin) kontrollieren soll.

Da ist ein wenig Dramatik schon nützlich. Denn sie hilft Rupprecht einen Vorgang zu rechtfertigen, der so gar nicht den Grundregeln der parlamentarischen Demokratie entspricht: Mit bis zu 480 Milliarden Euro aus Steuergeldern, mehr als dem Doppelten des jährlichen Bundesetats, soll Deutschlands Bankensektor vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Doch wer dabei zu welchen Konditionen profitiert, darüber entscheiden nicht die gewählten Vertreter der Steuerzahler, sondern nur ein vom Minister eingesetzter „Lenkungsausschuss“ unter Leitung des Finanzstaatssekretärs Jörg Asmussen. Der Bundestag selbst, so beschloss es die Große Koalition im vergangenen Oktober, verzichtet ausgerechnet bei der umstrittenen Bankensanierung mit Staatsgeldern auf sein wichtigstes Recht: die Kontrolle über die Staatsausgaben.

Ausschuss mit Maulkorb

Lediglich ein kleines Gremium von neun Abgeordneten aus dem Haushaltsausschuss wurde eingesetzt, dem die Bankenretter einmal pro Sitzungswoche ihre Entscheidungen mitteilen. Immer am Freitagmorgen trifft die Gruppe mit Asmussen oder dem parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller sowie Hannes Rehm, dem operativen Chef des Soffin, zusammen und darf Fragen stellen. Ablehnen oder ändern können die Parlamentarier die Beschlüsse jedoch nicht. Und selbst die Unterrichtung ist geheim. Weder ihren Kollegen noch ihren Wählern dürfen die neun Auserwählten die erhaltenen Informationen weitergeben. Wer dagegen verstößt, dem droht eine Anklage wegen Geheimnisverrats und im schlimmsten Fall eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Handelt es sich also nur um eine pseudodemokratische Veranstaltung nach dem Modell Nordkorea? Und wie vereinbaren die Abgeordneten das mit ihrem Selbstverständnis als Volksvertreter?

Rupprecht, ein smarter Dynamiker mit Oberpfälzer Akzent, kontert mit einer Gegenfrage: „Was wäre die Alternative?“ Würde der Bundestag öffentlich über die Staatshilfe für einzelne Banken debattieren, „würde das doch sofort zu Verwerfungen auf den Märkten führen“, rechtfertigt er das Verfahren. Aktienwerte könnten abstürzen oder Banken ihren Kredit bei anderen Marktteilnehmern verlieren. Das Überleben der Geldkonzerne dürfe aber nicht vom Parteienstreit abhängig sein. Gewiss, die Öffentlichkeit würde mehr erfahren, „aber das Ergebnis wäre nicht Klarheit, sondern noch viel größere Unsicherheit“, behauptet er. Insofern sei das Geheimgremium „der beste Kompromiss“. Und schließlich, so versichert er, werde dort „scharf nachgehakt, gerade auch von mir.“ Auch Carsten Schneider, Sprecher für Haushaltspolitik bei der SPD-Fraktion, hat mit dem Konstrukt kein Problem. Schließlich sei dies „eine bewusste Entscheidung“ gewesen und ohnehin wolle er sich „nicht anmaßen, zu entscheiden, welche Bank Bürgschaften und Kapitalhilfen erhält“. Das liege „bei der Exekutive“ in guten Händen.

Linkspartei: Das Parlament hat sich entmündigt

Das sieht Roland Claus, der für die Linksfraktion dabei ist, naturgemäß anders. Das Parlament habe „sich entmündigt“, klagt der Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt, und seine Sorgenfaltenmiene zeigt an, wie schwer ihm die Mitarbeit in dem rechtlosen Ausschuss fällt. Indirekt übernehme er schon „die Mitverantwortung für die Täuschung der Öffentlichkeit“, gesteht er. Gleichwohl sei das Gremium „besser als nichts“. Auf diesem Wege könne zumindest im Nachhinein die Verantwortung für die Milliardenzuteilungen geklärt werden. Auch Alexander Bonde, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, empfindet den Umgang der Bankenretter mit dem Parlament als Zumutung. „Eigentlich“ sagt er, „eigentlich ist all das mit der Ehre eines Haushälters im Bundestag nicht vereinbar.“

Dabei stört ihn weniger die Geheimhaltung als vielmehr die Impotenz des Gremiums. Um wirklich kontrollieren zu können, „müssten wir selbst die Akten aus den Banken prüfen.“ Auch müssten die Abgeordneten das Recht haben „die verantwortlichen Manager vorzuladen und zu befragen“, fordert Bonde. Weil ihm das verwehrt sei, erfahre der Ausschuss stets nur das, was Steinbrücks Staatssekretäre oder Soffin-Chef Rehm preisgeben wollen. Und das sei bisher noch immer zu wenig gewesen, klagt auch der CDU-Haushälter Jochen-Konrad Fromme. Fortwährend müsse man „um Informationen betteln“, die eigentlich selbstverständlich seien. Und das, obwohl bis Ende Februar schon Bürgschaften für 178 Milliarden Euro übernommen wurden. Weitere 19 Milliarden Euro an Kapitalhilfen sind bereits genehmigt, so viel, wie alle deutschen Universitäten pro Jahr kosten.

An einem Punkt immerhin wagten Fromme und seine Kollegen schon einmal den Aufstand. Öffentlich bezogen die Kontrolleure aus Union und Opposition gegen die bereits zugesagte Bürgschaft für die Volkswagenbank Stellung. Dabei gehe es „nur um Verkaufsförderung“, ärgert sich Fromme. Halte „die Exekutive“ dennoch an dem Plan fest, müsse sie mit „einer Gegeninitiative im Haushaltsausschuss rechnen“, droht er.

Verteilung der Bankenrettungsgelder ist nicht diskutiert worden

Doch angesichts der Dimension der teuren Sanierungsfälle wie Commerzbank und Hypo Real Estate (HRE) mutet der Streit um die Autobanken eher wie eine Ersatzhandlung an. Denn gleichzeitig sind bisher ganz zentrale Fragen bei der Verteilung der Bankenrettungsgelder im Ausschuss nicht einmal diskutiert worden.

Zum Beispiel jene nach dem eigentlichen Ziel der ganzen Milliardenoperation. Alle Verantwortlichen reklamieren stets, es sei die schiere Größe der in Schieflage geratenen Geldhäuser, die den Staat zur Übernahme des Risikos zwinge. Den Zusammenbruch eines großen Geldhauses könne man nicht riskieren, weil damit viele andere Finanzinstitute in den Abgrund gezogen würden. Aber Steinbrücks Bankenrettung hat nun genau diese Gefahr noch verschärft: Mit 18 Milliarden Euro subventioniert der Soffin die Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank und schafft so einen noch größeren Geldriesen. Trotzdem stellten die parlamentarischen Soffin-Wächter den Deal nicht einmal in Frage. Der „enorme Zeitdruck“ habe dafür keinen Raum gelassen, rechtfertigt Vorsitzender Rupprecht das Hauruck-Verfahren. Zudem hätte der Allianz-Konzern, der vormalige Eigentümer der Dresdner Bank, „ein Riesenproblem“ bekommen, wenn die Fusion gescheitert wäre. Diese sei bei der Entscheidung Anfang Januar vertraglich schon fest gebunden gewesen, meint auch Florian Toncar, der die FDP im Gremium vertritt. Doch beide müssen einräumen, dass sie weder den Fusionsvertrag kennen, noch geprüft haben, ob die Allianz, immerhin Europas größter Finanzkonzern mit knapp acht Milliarden Euro Gewinn im Jahr 2007, die Sanierung der Dresdner nicht aus eigener Kraft hätte stemmen können.

Genauso undurchsichtig blieben die Kosten der Commerzbank-Operation. Dabei erwarb der Bund zunächst für 1,8 Milliarden Euro 25 Prozent der Aktien. Doch der angesetzte Kurs lag „60 Prozent höher als an der Börse“, erinnert sich Toncar. Genauso gut hätte der Aktienkauf zum Marktkurs auf die laut Soffin-Gesetz erlaubten 33 Prozent Anteil erhöht werden können, meint der jüngste FDP-Abgeordnete, der als Experte für Wettbewerbsrecht nicht verhehlen kann, wie groß seine Bedenken sind. Wie die Commerzbankhelfer ihre „Begünstigung der Altaktionäre“ begründeten, darf er jedoch nicht erzählen. Parlamentarische Kontrolle sieht anders aus.

Commerzbank wird den Bundeshaushalt für viele Jahre mit Schuldzinsen belasten

Das gilt auch für den zweiten Teil des Commerzbank- Deals. Für volle 16,4 Milliarden Euro kaufte der Soffin sogenannte stille Anteile, die mit neun Prozent im Jahr verzinst werden sollen. Insofern sei das „ein gutes Geschäft“ für den Staat, erklärte daraufhin Commerzbank-Boss Martin Blessing. Schließlich könne sich der Bund das Geld für nur drei Prozent Zins leihen und die Differenz einstreichen. Doch Blessings Darstellung ist grob irreführend. Denn die jährlich fälligen Zinsen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro fließen nur, wenn es entsprechende Gewinne gibt. Aber selbst in besten Zeiten kam die Bank nur auf 1,8 Milliarden Euro Gewinn. Und auch wenn es erneut dahin käme, müsste sich die Staatskasse den Gewinn mit zahlreichen weiteren Kapitalgebern teilen. Noch für viele Jahre wird die Commerzbank den Bundeshaushalt daher mit Schuldzinsen von bis zu 500 Millionen Euro belasten – fast so viel, wie der Berliner Senat für alle Kitas der Stadt im Jahr benötigt.

Wäre es also nicht die ureigenste Aufgabe der Soffin-Wächter, Blessings Sprüchen öffentlich entgegenzutreten? SPD-Haushälter Schneider zögert kurz und stimmt dann zu. „Ja, das müsste man eigentlich klarstellen“, sagt er. Dass es dennoch bisher nicht geschehen ist, zeigt an, wie sehr die Abgeordneten mit der Zwitterrolle von Geheimnisträger und Volksvertreter überfordert sind. Er müsse sich eben stets fragen, „darf ich das eigentlich sagen?“, erklärt Schneider.

Völlig ausgeblendet blieb so bisher auch die vielleicht wichtigste aller Fragen, die in anderen Staaten längst hohe Wellen schlägt: Wer sind die Begünstigten? Wer sind die Gläubiger der Banken, die jetzt mit Steuergeld freigekauft werden? Und könnten jene, die das Spielgeld für die riskanten Investments bereitstellten, nicht auch ihren Anteil zur Sanierung leisten?

Deutsche Bank kassiert zwölf Milliarden Dollar von den Rettungszahlungen für AIG

Die Senatoren im US-Kongress etwa halten da nicht länger still. Als Anfang des Monats die Zahlungen für den Geldkonzern AIG auf mehr als 160 Milliarden Dollar anwuchsen, forderten sie ultimativ die Namen aller Geldhäuser, mit denen die AIG-Manager jene riskanten Kreditversicherungen abgeschlossen hatten, für deren Auszahlung die Steuermilliarden fließen. Der zuständige Vizegouverneur der Notenbank verweigerte zunächst die Auskunft. „Die Leute würden keine Geschäfte mehr mit AIG machen, wenn wir die Namen herausgeben würden“, erklärte er. Aber damit kam er nicht durch. Die Regierung brauche weitere Rettungsgelder gar nicht mehr zu beantragen, wenn sie nicht Auskunft gebe, stellten die Senatoren klar. „Sie würden das größte Nein zu hören bekommen, das sie je erlebt haben“, schleuderte einer der erbosten Parlamentarier dem Bankenlobbyist im Amt entgegen. Notgedrungen machte das AIG-Management daraufhin die Namen der Gläubiger öffentlich, und heraus kam so, dass darunter zahlreiche Großbanken aus aller Welt waren, die durchaus einen Anteil an den Ausfällen hätten schultern können. Zum Beispiel die Deutsche Bank, die allein fast zwölf Milliarden Dollar von den Rettungszahlungen für AIG kassierte.

Von solchem Mut zur Transparenz sind die Soffin-Wächter weit entfernt. Für FDP-Haushälter Toncar ist der mangelnde Wille zur Kontrolle vor allem „Ausdruck einer Schwäche unseres Systems“. Amerika habe eine „echte Gewaltenteilung“, weil Regierung und Parlament getrennt gewählt werden. Hierzulande sei die Parlamentsmehrheit dagegen stets auch Teil der Regierung. Aber „ordnungspolitisch gesehen müssten die Gläubiger natürlich auch herangezogen werden.“

Washingtons Abgeordnete fordern Antworten, in Berlin hält man still

Rupprecht, der CSU-Mann und damit auch Regierungsvertreter, kann sich das jedoch nicht vorstellen. Die Hartnäckigkeit der US-Kollegen sei „schon sympathisch“, räumt er ein. Aber mögliche Verhandlungen mit Gläubigern „würden doch Monate dauern“, dazu ließe die Eskalation der Krise aber keine Zeit. Mit Zeitmangel erklärt auch SPD-Haushälter Schneider, warum er über die Begünstigten nichts weiß. Aber „die Debatte muss geführt werden“, stimmt Schneider zu.

Zumindest im Fall des Milliardengrabs HRE bleibt den Bankenrettern womöglich auch gar nichts anderes übrig. Wenn die jüngsten Gerüchte aus Kreisen der Bankenaufsicht zutreffen, dann könnten die Verluste der HRE auf eine dreistellige Milliardensumme steigen – und damit den erlaubten Kreditrahmen des Soffin in Höhe von 80 Milliarden Euro weit überschreiten. Spätestens dann werden sich auch die Volksvertreter im Bundestag der Frage stellen müssen, ob wirklich nur die Steuerzahler allein für alle Verluste geradestehen sollen. Die große Stunde der geheimen Kontrolleure steht vermutlich erst noch bevor.

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