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Bundewehrsoldaten in Gao.

© Kay Nietfeld/dpa

Suche nach einer Zukunft für den Einsatz in Mali: Deutschlands Dilemma und Russlands Beitrag

Wo Europa in Afrika Friedenssicherung übernimmt, nutzt der Kreml Reibungspunkte, um sich nach vorn zu drängeln. Das hat Folgen für die Berliner Politik. Eine Analyse.

- Theodore Murphy ist der Direktor des Afrika Programms des European Council on Foreign Relations (ECFR).

Russlands Intervention in Mali hat Deutschland in ein Dilemma geführt. Denn dadurch wurde Mali angespornt, auf Konfrontation zu Deutschland zu gehen, was einen europäischen Rückzug zugleich als Niederlage gegenüber Russland erscheinen lassen würde. Moskau hat dies vielleicht gar nicht so geplant, doch die Situation entwickelt sich nun sehr zum Vorteil Russlands. Der Kreml ist auf dem besten Weg, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Er ermutigt Bamako dazu, den europäischen Einsatz in Mali zu beenden, und gewinnt im dadurch entstehenden Vakuum das Monopol für ausländischen Einfluss.

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Bei den zahlreichen Einsätzen Russlands in den instabilen Regionen Afrikas seit 2017 lässt sich ein Muster erkennen. Wo Europa die Stabilisierung und Friedenssicherung in Afrika übernimmt, nutzt Russland Reibungspunkte aus, die zwischen Europa und den Regierungen der Gastländer aufgrund unterschiedlicher Ansätze entstehen. Wo Europa auf Werte, einen regelbasierten Ansatz und vorsichtige Maßnahmen zum Schutz der eigenen Streitkräfte setzt, ergreift Russland Partei und bietet bedingungslose Unterstützung an.

Berlin spielt nun eine entscheidende Rolle in Mali, weil Paris kürzlich die letzten französischen Truppen aus dem Land abgezogen hat. Die Entscheidung Deutschlands, ob und wie die Präsenz in Mali aufrechterhalten werden soll, prägt die europäische militärische Unterstützung für die UN-Mission Minusma. Im Mai 2022 verlängerte der Bundestag das Mandat seines bilateralen Engagements in Mali, richtete es aber auf die Unterstützung von Minusma aus – andere europäische Staaten folgten diesem Beispiel. Sollte Deutschland seinen Einsatz beenden, werden auch andere europäische Länder den Ausstieg anstreben.

Theodore Murphy.
Theodore Murphy.

© ECFR

Die Falle, in der sich Deutschland nun befindet, ergibt sich aus dem heftigen Streit zwischen der malischen Junta und Frankreich im vergangenen Jahr. Frankreichs Verurteilung der Machtergreifung der Junta und deren positive Haltung zur Rolle Russlands führten schließlich zur Ausweisung des französischen Botschafters in Mali. Doch während die Junta ihre Feindseligkeit vor allem gegen Paris richtete, wirkte sich der Streit auch auf die Beziehungen Bamakos zu anderen europäischen Hauptstädten aus, die sich mit Frankreich solidarisch zeigen mussten.

Die Junta hat nun begonnen, ihre Kontrolle über den Zugang nach Mali zu nutzen, um Europa zu schikanieren. Bamako ist noch nicht bereit, Europa und Minsuma rundheraus abzulehnen, doch es tritt zunehmend bestimmter auf, indem es die logistische Unterstützung für die Mission auf ärgerliche und bürokratische Weise unterbricht. Dass die Junta einen deutschen Truppenrotationsflug blockierte sowie deutsche Truppen daran hinderte, ein ziviles Flugzeug in Bamako zu besteigen, sind nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit.

Die Junta fühlt sich durch den Kreml ermuntert

Moskau spielt dabei eine zentrale Rolle, denn seine Unterstützung ermutigt Bamako. Die Junta ist nicht mehr allein auf die militärische Unterstützung Europas angewiesen und fühlt sich ermächtigt, auf Konfrontation zu Europa zu gehen. Die tieferen strategischen Interessen Malis und Russlands liegen jedoch weit auseinander. Aus Sicht Malis wäre es klug, sowohl Russland als auch Europa einzubinden und sie gegeneinander auszuspielen, um den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Russland indes versucht, die Junta dazu zu bringen, die Europäer so zu provozieren, dass sie sich aus Mali zurückziehen.

Der Kreml hat die Europäer also in eine Zwickmühle gebracht: Ein Verbleib in Mali wird immer schwieriger. Ein Abzug scheint jedoch zu bedeuten, die Niederlage zu akzeptieren. Dies erklärt auch die Entscheidung des Bundestags im Mai. Indem Deutschland sein direktes Engagement in Mali beendete, während es über die Minusma aber weiterhin im Land blieb, entschied sich Berlin dafür, sich zu verstecken und darauf zu warten, dass sich etwas ändert.

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Vermutlich hofft man, dass die Russen sich diskreditieren, wenn man ihnen nur genug Spielraum lässt – zum Beispiel, indem sie Verbrechen an den Maliern, die sie angeblich schützen, verüben oder Malis Ressourcen in einer Weise ausbeuten, die eine Gegenreaktion der Bevölkerung hervorruft. Dann könnte Europa unter der Junta oder einer anderen Regierung wieder in Bamakos Gunst stehen.

Europa plant indes, noch mehr Stabilisierungs- und Friedensoperationen in dieser instabilen Region durchzuführen, die sich über die Sahelzone in Richtung Atlantik erstreckt. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass Russland weiterhin versuchen wird, die Europäer aus verschiedenen afrikanischen Ländern zu vertreiben. Was Europa in Mali tut, hat also über seine Grenzen hinaus Konsequenzen: Es wird einen Präzedenzfall für bestehende und künftige Einsätzen schaffen.

Europa könnte in eine Abwärtsspirale geraten

Die einzige 100-prozentige Garantie für europäischen Einfluss ist, dass das ein Land Russland von vornherein den Zugang verweigert. Europa ist jedoch möglicherweise nicht in der Lage, dies zu erreichen, ohne in eine Abwärtsspirale zu geraten und seine Werte aufzugeben, um autoritären Führern bedingungslose militärische Unterstützung zu gewähren.

Europas Unterstützung mag zwar an Bedingungen geknüpft sein, aber sie ist qualitativ und quantitativ besser als die Russlands. Für die afrikanischen Staaten dieser instabilen Region ist der Verlust der europäischen Unterstützung daher mit realen Kosten verbunden. Aber Europa muss möglicherweise erst seine Bereitschaft demonstrieren, sich zurückzuziehen, bevor die Länder dieser Region bereit sind, die Konsequenzen daraus zu erkennen. So gesehen muss Europa möglicherweise seine Präsenz in Mali der regionalen Stabilität zuliebe opfern.

Theodore Murphy

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