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DGB-Demo: Gewerkschafter: Ein bisschen unruhig

Das Wort Kapitalismus kommt den Gewerkschaftern in Berlin leichter über die Lippen als früher.

Revolution scheint am Berliner Großen Stern in der Luft zu liegen. Ein Meer von roten Fahnen vor der Rednertribüne unter der Siegessäule, und sogar Rosa Luxemburg ist mittendrin – mit einem Zitat: „Eure Ordnung ist auf Sand gebaut“. Die Gewerkschaftsjugend hat es auf den blutroten Streifen Stoff gedruckt, um „für den Systemwechsel“ zu werben. Das tun auch die vielen Herren und die eine Frau am Rednerpult oben, die das Ende des „Casinokapitalismus“ fordern, wie der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGB, der Brite John Monks, oder „ein gutes Leben für alle“, nicht nur für „die Reichen und Superreichen“, wie Berthold Huber, Chef der IG Metall.

Kapitalismus, die Vokabel geht, in unterschiedlichen Kompositionen, den Gewerkschaftsführern leichter und öfter über die Lippen als früher. Und hier darf auch noch einmal über jene sozialen Unruhen gesprochen werden, deren Beschwörung durch DGB-Chef Michael Sommer und die Bundespräsidentschaftskandidatin der SPD Gesine Schwan grummelnden Unmut ausgelöst und selbst die SPD in Wallung gebracht hatte. Während Demonstrationsteilnehmer auf Buttons und Trikots bekennen: „Wir sind sozial unruhig“, wiederholt Sommer seine Warnung. Wenn die internationale Krise nicht rasch unter Kontrolle gebracht werde, „dann wird das Folgen haben für Demokratie und sozialen Frieden“. Und: „Nicht wir stellen den sozialen Frieden infrage, sondern die, die die Folgen der Krise auf den Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abladen wollen.“

Und weil man ja europäisch protestiert, kriegen auch die europäischen Institutionen drei Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament ihr Fett weg. „Die Menschen wollen die Europäische Union als das gemeinsame Zukunftsprojekt nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen“, ruft Sommer. „Aber wir wollen nicht übers Ohr gehauen werden.“ Ein Europa des Kapitals dürfe es nicht geben, die Menschen wollten „nicht mit ein bisschen Verbraucherschutz abgespeist und sonst als billige Wanderarbeiter“ verheizt werden. Dazu brauche es europäische Regierungen, die „nicht ständig vor dem Shareholder-value-Kapitalismus“ einknicken.

„Ich habe es früher Casino-Kapitalismus genannt. Bis ich merkte, dass unsere Spielkasinos seriöser geführt werden als unsere Banken“, sagt John Monks, der ironisch auffordert: „Verschwende nie eine gute Krise!“ Diese hier könne helfen, die Dinge besser zu machen und den „sozialen Markt“ wieder aufzubauen. Doch nicht einmal damit erntet er ein Lachen. Die Stimmung ist ernst an diesem kühlen Frühlingstag, und selbst an den Stimmen der Redner scheint man ablesen zu können: IG-Metall-Chef Huber und sein Verdi-Kollege Frank Bsirske sind massiv heiser und kämpfen sekundenweise gegen das Versagen ihrer Stimmen an, als lägen die Erste-Mai-Kundgebungen nicht schon gut vierzehn Tage zurück, sondern seien erst gestern gewesen.

Die Stimmschwächen der da oben werden vom Trillerpfeifenkonzert und Applaus mehr als ausgeglichen, die immer dann besonders stark sind, wenn es gegen die Verantwortlichen der Krise und das aktuelle Krisenmanagement geht. Etwa wenn Huber auf die „Profitjäger“ in den Unternehmen schimpft, „die ihre Verluste jetzt wieder sozialisieren“, und verspricht: „Dieses Ganovenstück machen wir nicht mit.“ Oder wenn er fragt, warum es noch immer keinen Untersuchungsausschuss gebe, der die Gründe der Krise erforsche und Schlüsse für die Zukunft daraus ziehe. In Bsirskes Rede genügt die Erwähnung von FDP-Chef Guido Westerwelle, um ein Sturm von Buhs und Pfiffen auszulösen.

„Die Krise bekämpfen. Sozialpakt für Europa. Die Verursacher müssen zahlen“ war das Motto dieses Tages. Und in den Reden von Agnes Jongerius, Chefin des niederländischen Gewerkschaftsdachverbands, und des Europagewerkschafters Monks wird eine Bewegung „von Brüssel bis Berlin, von Madrid bis Prag und Budapest“ beschworen. Warum man von Haushaltskonsolidierung rede, sagt Jongerius, „es geht um Menschen“. Und Huber verspricht: „Dieser Protest wird über diesen Tag hinausgehen.“ Da allerdings wird ein bis dahin heftig applaudierender Gewerkschafter der vorderen Reihen doch skeptisch: „Wollen wa mal hoffen.“

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