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Politik: Die Ärmel hoch

Müntefering hat seine Zwangspause beendet, mit Polarisierung will die SPD noch eine Wende schaffen

Der Helfer tauscht schnell das Wasserglas aus, dann tritt der Mann ans Pult, auf dessen Gesten und Atempausen die 1500 Würzburger an diesem Montag besonders achten. „So, meine Damen und Herren, da bin ich wieder", sagt Franz Müntefering betont schwungvoll und muss selbst ein wenig lachen. ExtraApplaus für den SPD-Parteichef nach vier Tagen ärztlich verordneter Wahlkampfpause. Bis Sonntagabend war Auskurieren angesagt, eines Magen-Darm-Infekts wegen hatte Müntefering quer durch die Republik alle Termine vor Kameras und auf Bühnen abgesagt. Die Kundgebung im Unterfränkischen war Münteferings erster öffentlicher Auftritt nach dem Kreislaufkollaps von Homburg.

„Es geht wieder gut“, berichtet Müntefering. „Er ist wieder der Alte“, sagt Walter Kolbow. Der Verteidigungsstaatssekretär hat den SPD-Chef in seinen Wahlkreis geholt und ist spürbar erleichtert. Nicht nur, weil eine Kundgebung ohne Müntefering im schwarzen Unterfranken kaum jemanden gelockt hätte. „Lieber Franz“, sagt Kolbow, „du hast uns in der letzten Woche einen schönen Schrecken eingejagt.“ Müntefering will den Schrecken vergessen machen und krempelt die Ärmel hoch. „Sparerfreibetrag – abgeschafft, Übungsleiterpauschale – abgeschafft.“ Eine Stunde lang warnt Müntefering vor den Unionsplänen und betet seinen schwitzenden Zuhörer vor, dass Merkel, Kirchhof und Stoiber „eine andere Republik sind“. Von Schwäche keine Spur. Der 65-Jährige nippt nicht mal am Wasserglas, stemmt die Hände in die Hüfte, spricht über Steuerschlupflöcher, Studiengebühren und „Sonne, Wasser, Erdwärme und Wind“, als wolle er selbst ein Beispiel sein für regenerativ-unerschöpfliche Energie. Weil er in Bayern ist, gönnt er Edmund Stoiber ein wenig Mitleid: „Die Merkel hat ihn mit Kirchhof schön ausgekurvt. Sie hat ihm ein Steuerkonzept hinzelebriert, gegen das er nichts machen kann.“ Am Schluss überreicht der SPD-Chef acht Neu-Mitgliedern die Parteibücher, die Sanitäter vom Arbeiter-Samariter-Bund, die vorsorglich mit Arzt gekommen waren, hatten einen ruhigen Tag.

In Berlin suchte die Partei derweil einen Weg, die schlechten Umfragewerte von anhaltend 30 Prozent doch noch zu verbessern. Das Heil sieht sie jetzt in der Polarisierung. Mit schweren Vorwürfen gegen Union und FDP will sie auf ihrem Wahlparteitag am Mittwoch in Berlin in die Schlussphase des Wahlkampfes einsteigen. „Merkel/Westerwelle wollen den Bruch mit dem Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft und der organisierten Solidarität“, heißt es im Wahlaufruf der Partei, dessen Entwurf Generalsekretär Klaus Uwe Benneter am Montag vorstellte. Eine Koalitionsaussage taucht in dem Papier nicht auf. Es gehe in der „Entscheidungsphase“ darum, die SPD zur stärksten Partei zu machen, erklärte Benneter. Ein Drittel bis die Hälfte der Wähler sei noch unentschlossen. Auf sie wolle sich die SPD konzentrieren.

Der Appell soll am Mittwoch nach den Reden von Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering von den 480 Parteitagsdelegierten beschlossen werden. In dem Aufruf stellt sich die SPD als Kraft der maßvollen Reformen dar und bezichtigt Union und FDP sowie die Linkspartei der Ideologie und des Populismus. Es sei gleichermaßen unverantwortlich, „das Leben der Menschen den Interessen des großen Geldes unterzuordnen oder populistisch Illusionen zu fördern“. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle wird vorgeworfen, für eine Ökonomisierung des Denken und Handelns, eine massive Privatisierung der Lebensrisiken und eine kalte Ellenbogengesellschaft zu stehen. Unter Merkel habe sich die Union von sozialer Gerechtigkeit als Ziel „vollständig gelöst“.

Benneter kündigte einen Parteitag ohne Inszenierungen an. Man werde Inhalte und Personen in den Mittelpunkt stellen. Es gehe am 18. September um eine Richtungs- sowie eine Personalentscheidung. Die Pläne der Union zur Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie zur Senkung des Spitzensteuersatzes kritisierte er als „Rezessionsprogramm“. Auch sei im Fall einer Regierungsübernahme von Union und FDP der innere Frieden in Gefahr. In dem Wahlaufruf wird Merkel zur Last gelegt, die Arbeitnehmerrechte zu zerschlagen und untere Einkommensgruppen mit der Besteuerung von Nacht- und Sonntagszuschlägen zu drangsalieren.

Doch wird in der SPD unterdessen Kritik an der Wahlkampfführung der Parteispitze laut. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig sagte dem Tagesspiegel: „Eine Richtungswahl braucht ein Richtungsthema – zum Beispiel die völlig unsoliden, unsozialen und unseriösen steuer- und finanzpolitischen Vorstellungen des Herrn Kirchhof.“ Dies hätten inzwischen sogar die CDU-Ministerpräsidenten verstanden und sich deshalb von den Konzepten des Finanzfachmanns in Merkels Wahlkampfteam distanziert.

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