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Im Käfig. Der frühere Chef des Ölkonzerns Jukos, Michail Chodorkowski, und sein Partner Platon Lebedew (im Hintergrund) beobachten den Moskauer Prozess gegen sie von einer verglasten Zelle im Gerichtssaal aus. Am 15. Dezember soll das Urteil verkündet werden. Foto: Sergej Chirikov/dpa

© dpa

Politik: „Die Anklage ist nicht nachvollziehbar“

Die Bundesjustizministerin über den Chodorkowski-Prozess und Probleme des Rechtssystems in Russland

Sie haben vom ersten Verfahren gegen Chodorkowski und Lebedew für den Europarat berichtet und massive Verfahrensfehler dokumentiert. Wie bewerten Sie den zweiten Prozess, der nun zu Ende geht?

Dieser Prozess muss schon allein wegen der nicht nachvollziehbaren Anklage kritisiert werden. Es handelt sich weitestgehend um dieselben Vorwürfe, die man Chodorkowski im ersten Prozess gemacht hat. Es gilt überall, auch in Russland, der Grundsatz, dass man nicht zweimal wegen derselben Tat verurteilt werden kann. Man kann nicht eine Tat mal als Steuerhinterziehung, mal als Diebstahl bewerten. Das geht nicht. Daher gibt es in diesem Prozess allein schon durch die Anklage ganz große Merkwürdigkeiten. Hier wird alles getan, damit Chodorkowski nicht nach Verbüßung der ersten Strafe den Anspruch hat, entlassen zu werden.

Heißt das, Sie sehen politische Motive?

Die Prozesse gegen Chodorkowski und gegen Jukos sind überhaupt nur vor einem gewissen politischen Hintergrund zu verstehen.

Sie haben in der Vergangenheit auch Druck auf russische Richter kritisiert. Gibt es Hinweise, dass im laufenden Verfahren auf Richter Druck ausgeübt wird, um einen Schuldspruch zu erreichen?

Dass auf Richter Druck ausgeübt wird, ist nach wie vor eine systematische Struktur in Russland. Leider kann das nicht ausgeschlossen werden.

Die Bundesregierung hat den Fall Chodorkowski mehrfach angesprochen, Abgeordnete haben immer wieder den Prozess besucht. Zeigt das Wirkung in Russland?

Große Öffentlichkeit und öffentliche Berichterstattung sind einer der besten Mechanismen, um jemanden vor möglichen Gefährdungen zu schützen.

Welche Gefährdung meinen Sie konkret? Chodorkowskis Anwälte sagen, dass sie um das Leben ihres Mandanten im Gefängnis fürchten.

Chodorkowski ging es teilweise gesundheitlich nicht gut, es gab bestimmte Vorfälle im Gefängnis. Wenn es gelingt, mit sachlichen Informationen Öffentlichkeit herzustellen, ist das eine Art Schutzschirm, damit es keine Lebensgefahr für die Betroffenen gibt.

Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat den „Rechtsnihilismus“ in seinem Land beklagt. Hat sich in der Praxis irgendetwas substanziell geändert, seit er im Amt ist?

Die Gehaltsstruktur für Richter ist verbessert worden, außerdem ist eine zusätzliche Investigationseinheit neben der Staatsanwaltschaft geschaffen worden. Aber insgesamt wurde die Gesamtstruktur nicht grundlegend überarbeitet. Es gibt mehr zu tun, als bisher passiert ist.

Warum geht das nicht oder nur so langsam voran?

Das ist aufgrund des Rechtssystems in Russland sehr, sehr schwierig. Die Staatsanwaltschaft hat einen überwältigenden Einfluss, wie es gerade in Staaten mit autoritären Zügen der Fall ist. Die grundsätzlichen Strukturen zu ändern, ist immer eine Machtfrage. Medwedew hat in gewissem Sinne versucht, etwas zu bewegen.

Die Europäische Union und Russland haben eine Modernisierungspartnerschaft vereinbart, in der auch das Thema Rechtsstaatlichkeit eine Rolle spielen soll. Wie kann die EU Russland auf dem Weg zum Rechtsstaat unterstützen?

Nur im Dialog hat man auch Einflussmöglichkeiten. Daher muss diese Möglichkeit genutzt werden, um zu Veränderungen zu kommen. An den Dialog müssen wir offen herangehen, aber auch mit klarem Anspruch. Wir müssen Missstände konkret benennen.

Das Gespräch führte

Claudia von Salzen.

Sabine LeutheusserSchnarrenberger (FDP) ist Bundesjustizministerin. Für die Parlamentarische Versammlung des Europarats hatte die Anwältin zuvor über den Fall Chodorkowski berichtet.

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