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Politik: Die Botschaft der Medaillen

Von Hermann Rudolph

In drei Tagen, wenn die Olympischen Spiele in Athen zu Ende gehen, wird feststehen, was jetzt schon sicher ist: China, an zweiter Stelle in der Medaillenwertung, ist der große Gewinner dieser Spiele. Aber wer hat dieses Sportwunder vollbracht? Das Land des Staatssozialismus mit den bekannten Druck und Disziplinierungsinstrumenten? Der gewaltige Wirtschaftsaufschwung, der seine Sportler mitgerissen hat – Medaillen sozusagen als Pendant zu dem Hochhaus-Auftrieb von Schanghai, der die Welt staunen macht? Oder der patriotisch-nationalistische Wille der Chinesen, es der Welt zu zeigen – die Olympischen Spiele 2008 als Zielmarke?

Sporterfolge, sportliche Höchstleistungen ergeben sich nicht von selbst. Sie müssen einer Gesellschaft durch Organisation, Förderung und Motivation erst abverlangt werden. Oft, zumal in den klassischen Disziplinen, sind es auch Traditionen und spezifische Milieus, die für sie den Nährboden bilden – protestantischer Leistungswille in der Leichtathletik, aristokratisches Kavalierserbe im Fechten, ländliches Leben im Reiten. Doch gibt es etwas davon in China? Nach dem Modell Europas oder Amerikas konnte es bislang ohnedies nicht als Sportland gelten – Tischtennis oder Schwimmen einmal ausgenommen. Und Masse allein, über die das bevölkerungsreichste Land der Erde wahrhaftig verfügt, reicht für Höchstleistungen nicht aus. Sonst müssten in Athen zum Beispiel auch Inder auf den Siegertreppchen gesichtet worden sein.

Es kann da gar nicht ausbleiben, dass Chinas Auftritt in Athen den Blick auf andere ambivalente Hoch- und Tiefpunkte der Sportgeschichte lenkt. Folgt das neue Sportwunder dem Muster des Aufstiegs des Sports in der Sowjetunion und in der DDR? Also dem System des Staatsamateurismus, einer strikten Elitenbildung, eingeschlossen Privilegien, perfekte Auslese, auch Doping, alles nicht denkbar ohne den totalitären Zugriff des Staates auf seine Bürger? Oder wäre an das „Dritte Reich“ zu denken, Stichwort: Olympia 1936? Dann käme man am Phänomen des Nationalismus, dieser schwer zu vermeidenden, aber gefährlichen Mitgift des Sportes, nicht vorbei.

Es wäre naiv, anzunehmen, dass an den Erfolgen jener Basketballer, Fechter und Tennisspieler, von denen die Sportwelt bis zur Stunde noch nichts gehört hatte, die einheitsparteiliche Diktatur nicht ihren gehörigen Anteil hat; noch immer bildet sie Chinas politisches Gerüst. Aber vorstellbar ist, dass die Erfolge auch eine Folge des großen Schritts nach vorn sind, den das Land tut. Dann wäre der sportliche Aufstieg auch ein Exempel für den Aufstiegswillen der vielen, ihre Motivation und ihren Ehrgeiz, ohne die Chinas explosive Veränderung nicht möglich gewesen wäre. Allerdings auch für den Machtanspruch und den Nationalismus, mit dem es nach seinem Platz in der Welt greift, mit wachsender Aggressivität.

„Ich sage nur China, China, China“, orakelte einst ein Bundeskanzler, Kurt Georg Kiesinger, als der Schatten des Landes gerade am Horizont der Weltpolitik auftauchte; er wurde deshalb reichlich bespöttelt. Nun sind die Sportreporter auf diese verwundert-verblüffte Tonlage gestimmt, und ihre Berichte bestätigen in ihrer Weise die Wunderdinge, die die China-Reisenden seit Jahr und Tag erzählen. Bisher waren es vor allem die Industriellen und Geschäftsleute, die mit Staunen auf China blickten. Seit Athen spüren alle: Da geschieht etwas. Der Aufbruch einer Großmacht– aber wohin?

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