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Politik: „Die DDR wird zum Disneyland“

Die Stasi-Akten-Beauftragte Marianne Birthler über die Zukunft ihrer Arbeit und Ostalgie mit Ampelmännchen

Frau Birthler, wie lange wird Ihre Behörde noch existieren?

Das ist ja eine nette Eingangsfrage. Aber machen Sie sich keine Sorgen: Die StasiUnterlagen-Behörde wird es noch lange geben. Ein Rückgang der Anträge auf Akteneinsicht ist überhaupt nicht abzusehen. Im Gegenteil: Wir hatten im ersten Halbjahr mit fast 50 000 solcher Anfragen noch einmal eine Steigerung zu verzeichnen. In den vergangenen Jahren waren das übers ganze Jahr gesehen jeweils zwischen 94 000 und 95 000. Einen deutlichen Rückgang wird es lediglich bei den Anfragen im Zusammenhang mit Personalüberprüfungen im öffentlichen Dienst geben. Zwar verzeichnen wir zurzeit wegen der verfügbaren Rosenholz-Dateien noch einmal einen Anstieg dieser Anfragen. Aber bis 2006 wird dieser Teil unserer Arbeit beendet sein.

Warum nach 2006?

Überprüfungen im öffentlichen Dienst, für die wir in Unterlagen recherchieren, wurden bei der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes auf 15 Jahre begrenzt. Das ist aber inzwischen nur ein relativ kleiner Teil unseres gesamten Tätigkeitsbereiches. Einen wesentlich größeren Anteil machen die Anträge auf persönliche Akteneinsicht aus.

Warum wollen so viele erst jetzt in ihre Akte sehen?

Die einen sagen: Wir hatten nach 1990 erst mal anderes im Sinn. Die anderen meinen: Wir brauchten erst einmal Abstand, um uns auf dieses Thema einlassen zu können. Manche sagen: Ich war nur ein kleiner Fisch und wollte denen den Vortritt lassen, die wirklich unter schwerer Verfolgung gelitten haben. Manche stellen auch einen Antrag, weil ihre inzwischen erwachsenen Kinder sie darum gebeten haben. Und nachdem bekannt geworden ist, dass die Stasi auch im Westen aktiv war, kommen verstärkt auch von dort Anfragen.

Gibt es im Osten nicht doch Überdruss und im Westen eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Stasi-Thema?

Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Wenn ich auf Reisen bin und Veranstaltungen besuche, begegnen mir manchmal Reserviertheit und kritische Fragen, aber vor allem viel Zuspruch. Im Großen und Ganzen kann man von hoher Akzeptanz gegenüber unserer Arbeit sprechen, insbesondere bei den Menschen, die direkt mit uns zu tun hatten.

Hat sich die Akzeptanz in den vergangenen Jahren verändert?

Mittlerweile ist die DDR Geschichte geworden: Die heutigen Abiturienten waren 1989 gerade mal drei Jahre alt. Ich habe nicht selten erlebt, dass mich Jugendliche nach einer Diskussion fragten: Warum hat uns das denn noch nie jemand erzählt? Wenn niemand diese Geschichte lebendig werden lässt, liegt sie für Jugendliche irgendwo in der Nähe des Mittelalters. Oder gerät zu einer Art von Disneyland mit Ampelmännchen und ulkigen Pionierblusen. Man muss sich auch klar machen, dass Geschichte, abgesehen von wichtigen Jahrestagen, zumeist ein Thema für Minderheiten ist. Das sehe ich nicht als mangelnde Akzeptanz, sondern als eine gewisse Normalisierung. Das Thema Stasi verliert allmählich sein spektakuläres Flair.

Als die Rosenholz-Dateien, die Unterlagen der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung, an Sie übergeben wurden, waren die Erwartungen groß. Nun, ein Jahr später, zeigt sich, dass es kaum spektakuläre Enthüllungen gab. Wurden die Daten überschätzt?

Eigentlich war klar, dass für den Westen wenige Sensationen zu erwarten waren, weil schon in den 90er Jahren umfangreich gegen Westspione ermittelt worden war. Überrascht hat uns alle, dass die Rosenholz-Dateien auch sehr viele ostdeutsche Namen enthielten, darunter viele Inoffizielle Mitarbeiter der Hauptverwaltung Aufklärung. Diese konnten bislang bei keiner Überprüfung entdeckt werden, weil die HVA-Daten ja nicht zur Verfügung standen. Da gab es seither schon einige interessante Entdeckungen, und es wird weitere geben.

Sie haben mal gesagt, auch die Geschichte der West-Linken könnte in diesem Zusammenhang mehr Aufklärung vertragen. Was könnte Ihre Behörde dazu beitragen?

Während es über uns, die DDR-Bürger im allgemeinen und die DDR-Opposition im besonderen, eine stattliche Zahl von Publikationen gibt, findet sich wenig entsprechendes über den Westen. Wenn ich wissen will, wer von meinen Freunden in welcher K-Gruppe war, welche Gruppen sich wann gebildet oder wieder aufgelöst haben und was ihre Ziele waren, ist der literarische Befund dagegen eher mager.

Sie meinen Leute wie Reinhard Bütikofer, der früher bei den Maoisten war?

An den habe ich jetzt gar nicht gedacht, sondern an eine Freundin, die lange, bevor wir uns kennen gelernt haben, überzeugte Maoistin war. Wir haben viel darüber gesprochen. Aber nachzulesen gibt es da nicht viel. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen meine Freunde darüber sprechen, ist zu merken, dass es noch viele offene Fragen Konflikte gibt. Wenn etwa jemand aus dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands Anfang der 80er Jahre noch ein Glückwunschtelegramm an Pol Pot geschickt hat – dann stellen sich doch Fragen, oder?

Sie spielen auf den Ex-KBW-Funktionär Joscha Schmierer an – der sitzt heute auf einem Leitungsposten im Außenministerium.

Ja. Ich bin mit ihm befreundet, ich mag ihn. Er ist heute ein überzeugter und überzeugender Demokrat. Aber unabhängig von diesem konkreten Beispiel: Ich staune manchmal, wie gering die Bereitschaft ist, sich darüber Gedanken zu machen, was in den Köpfen damals vorgegangen ist, wie es kam, dass Menschen, die in einer demokratischen Gesellschaft lebten, totalitären Ideologien etwas abgewinnen konnten.

Sie könnten solche Themen doch als Forschungsaufträge bearbeiten lassen?

Nein, denn wir sind durch unseren gesetzlichen Auftrag auf die MfS-Überlieferungen und die sich daraus ergebenden Themen konzentriert. Die Stasi hat sich zwar für die Studentenbewegung und ihre Nachfolgeorganisationen interessiert. Es wäre aber ein Missverständnis zu meinen, dass die KPDler oder andere Maoisten von der DDR gesteuert worden wären. Irgendjemand hat mal gesagt: Dafür brauchten wir das MfS nicht, so blöd waren wir von allein. Sollte aber zum Beispiel die FU Berlin sich diesem Thema widmen, würden wir, soweit vorhanden, für eine entsprechende Forschungsarbeit gern Unterlagen zur Verfügung stellen.

Könnte es zur Herstellung des inneren Friedens in Deutschland beitragen, wenn die Aufarbeitung ideologischer Irrwege nicht immer nur an den Ostdeutschen festgemacht würde?

Ich bin vorsichtig mit derartigen Parallelisierungen, auch wenn es hier und da Analogien gibt. Daniel Cohn-Bendit meinte dazu unlängst in einem Vortrag: Wir waren totalitär, aber zu unserem Glück hatten wir keine Macht. Was sich in den Köpfen abgespielt hat, war hochkritisch. Und wie manche der Gruppen mit ihren eigenen Dissidenten umgegangen sind, war alles andere als menschenfreundlich. Ideologische Verblendungen gab es also in Ost und West. Der grundlegende Unterschied ist, dass es im Westen kleine Gruppen waren, Minderheiten, die in einer offenen Gesellschaft sichtbar wurden und von denen man sich distanzieren konnte. In der DDR aber duldeten die herrschenden Ideologen keinen Widerspruch, die Menschen waren ihnen mehr oder weniger ausgeliefert.

Die Stimmung im Osten ist nicht gut. Politikverdrossenheit ist verbreitet. Die PDS profitiert mit Stimmengewinnen von dieser Situation. Enttäuscht Sie das?

Ich finde es manchmal bedrückend. Die Ursachen für die großen Probleme im Osten stammen zu einem größeren Teil aus den Zeiten der DDR, zu einem kleineren Teil aus Fehlentwicklungen nach 1990. Die Politikverdrossenheit, die Sie ansprechen, scheint mir zwar in Wahrheit meist Bürokratieverdrossenheit zu sein. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Osten immer noch die Zeche von über einem halben Jahrhundert Fehlentwicklungen zahlen. Zwei Diktaturen hintereinander – mehr als 50 Jahre lang haben freiheitsliebende und leistungsstarke Menschen das Land freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen. Die Abwanderung setzt sich heute durch die Arbeitsmarktsituation fort.

Wie hat sich das Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 23. Juni über die Akten Helmut Kohls konkret auf die Arbeit Ihrer Behörde ausgewirkt?

Nachdem seit zwei Wochen das schriftliche Urteil vorliegt, sind wir nun dabei, die praktischen Folgen im Detail zu erörtern. Das ist schwieriger, als wir gedacht haben, weil die Urteilsbegründung komplex ist und ganz unterschiedliche Themen berührt. Medien werden künftig gegenüber der Forschung stark benachteiligt. Das ist ein Problem, das sich auch jetzt nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung keineswegs relativiert hat. Ich bedauere das sehr.

Klagen können Sie gegen die Entscheidung nicht mehr. Wollen Sie eine erneute Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes?

Das wird nach der Sommerpause möglicherweise im Bundestag angesprochen werden. Aber auch jedes novellierte Gesetz müsste die verfassungsrechtlichen Argumente aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigen. Vor einer Novellierungsdebatte wäre also zu prüfen, welche Spielräume überhaupt noch vorhanden sind.

Das Gespräch führten Matthias Meisner und Matthias Schlegel. Das Foto machte Mike Wolff.

DIE ENGAGIERTE

1948 in Berlin geboren, war die gelernte Katechetin seit 1986 in DDR-Oppositionsgruppen aktiv. Dieses Engagement führte sie an den Runden Tisch und im März 1990 in die erste frei gewählte Volkskammer der DDR.

DIE ÄMTER

Bei Bündnis 90/Grüne war sie zunächst in der Volkskammer, später im Bundestag Fraktionssprecherin, von Mai 1993 bis Dezember 1994 Bundesvorstandssprecherin. 1992 hatte sie aus Protest gegen Stolpes Stasi-Kontakte ihr Amt als Bildungsministerin in Potsdam aufgegeben.

DAS AMT

Der Bundestag wählte sie im Jahr 2000 zur Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

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