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Benachteiligung bei der Rente: Die deutsche Trennung

In der DDR geschiedene Frauen beklagen seit 20 Jahren ihre Benachteiligung bei der Rente – nun interessieren sich die UN für sie.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Wer 20 Jahre lang immer auf dem gleichen Anliegen herumreitet, wird schon mal als notorischer Nörgler und lästiger Querulant tituliert. Diese Erfahrung machen die Frauen, um die es hier geht, immer wieder. Es ficht sie nicht an. Schließlich wird ihre Forderung nicht allein dadurch unberechtigter, dass sie immer aufs Neue erhoben wird.

Seit Anfang der 90er Jahre beklagen in der DDR geschiedene Frauen, dass sie vom bundesdeutschen Rentenrecht benachteiligt werden. In den alten Bundesländern wird an Ehegatten, die vor dem 1. Juli 1977 geschieden wurden, Geschiedenenhinterbliebenenrente gezahlt; Ehegatten, die nach diesem Datum geschieden wurden, kommen in den Genuss eines Versorgungsausgleichs. In der DDR Geschiedene gehen dagegen leer aus. Im Rentenüberleitungsgesetz, das die Ansprüche der unterschiedlichen sozialen Gruppen nach der deutschen Einheit regelte, wurden sie schlichtweg vergessen. Das hat vor allem für ältere geschiedene Frauen, die wegen der Kindererziehung längere Zeit zu Hause blieben oder – wie die meisten Frauen in der DDR – in schlecht bezahlten Berufen arbeiteten, verheerende Folgen: Sie beziehen extrem niedrige oder gar keine Renten und sind häufig auf Grundsicherung angewiesen.

Eine von ihnen ist Ute Lauterbach. Die heute 70-jährige geschiedene Frau hat zwei Kinder großgezogen. Dafür hat sie fünf Jahre lang ihre Tätigkeit als Kindergärtnerin ausgesetzt, weil sie ihre Kleinen nicht schon mit acht Monaten täglich in der Kinderkrippe abliefern wollte. Die drei Mark Rentenversicherungsbeitrag, die sie während dieser Zeit monatlich abführte und die ihren Rentenanspruch garantierten, hatten materiell damals eher symbolischen Wert: In der DDR wurde die Rentenhöhe nach dem Einkommen in den letzten 20 Arbeitsjahren berechnet. Doch heute schlägt die Kindererziehungszeit gravierend zu Buche: Die jährliche Summe von gerade mal 36 Mark wird für die Rentenberechnung als Einkommen in dieser Zeit angesetzt.

Ute Lauterbach, die heute den 1999 gegründeten „Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V.“ leitet, sieht sich und ihre Mitstreiterinnen in zweifacher Hinsicht benachteiligt: gegenüber vergleichbaren Frauen in der Bundesrepublik, denen der Versorgungsausgleich über den geschiedenen Ehepartner gewährt wird, und gegenüber den in der DDR geschiedenen Männern. Letzteren wurde im Juli 1991 Vertrauensschutz für die bis dahin geltende Praxis zugesichert, dass sie auf Lebenszeit keine Rentenpunkte abgeben müssen. Noch heute beruft sich die Politik darauf, dass sie wegen des Rückwirkungsverbots keinen nachträglichen Versorgungsausgleich von den geschiedenen DDR-Männern einfordern könne.

Betroffene Frauen und der Verein sind von Gericht zu Gericht, von Partei zu Partei gegangen, vier Bundesregierungen haben sie mit ihrer Forderung genervt. Und immer haben sie die Erfahrung gemacht: Solange die Parteien in der Opposition waren, waren sie ihrem Anliegen gegenüber aufgeschlossen. Sobald sie in der Regierung saßen, brachten sie stets unüberwindliche Hinderungsgründe vor. Ute Lauterbach ist überzeugt: „Die Politik setzt auf die biologische Lösung.“ Gab es nach ihren Erkenntnissen im Jahr 1992 – bis Ende 1991 (!) waren Scheidungen nach DDR-Recht möglich – noch 800 000 betroffene Frauen, leben heute schätzungsweise nur noch 450 000.

Besonders enttäuscht ist Lauterbach, dass sich auch jene Parteien, die der Betreuung von Kindern in der Familie angeblich so hohen Wert beimessen, mit der Altlast nicht mehr befassen wollen. Es würde ja auch Geld kosten. Als Betroffene aus Stralsund Mitte dieses Jahres ihrer Wahlkreisabgeordneten Angela Merkel in einem Brief ihr Problem schilderten, bezeugte die Kanzlerin Verständnis. Aber leider sei das Anliegen der Betroffenen politisch nicht mehr durchsetzbar.

Bei den Gerichten hatten die Frauen ebenfalls keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht nahm zuletzt eine Klage gar nicht mehr an: Es würden die Belege über die Rentenbiografien der Ehemänner fehlen. Den Frauen erschien das wie Hohn: Kaum dass sie ihre eigenen Unterlagen alle zusammenkratzen konnten, war es – auch rechtlich – unmöglich, die Dokumente von den geschiedenen Männern beizubringen. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg läuft noch.

Nun aber tauchen plötzlich Hoffnungsschimmer auf. Im September verabschiedete der Bundesrat auf Initiative der Länder Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin eine Entschließung zur „Verbesserung der rentenrechtlichen Situation der im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 Geschiedenen“. Darin wird die Bundesregierung „nachdrücklich“ gebeten, „eine befriedigende Lösung“ herbeizuführen. Und es wird vorgeschlagen, umgehend eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe dazu einzusetzen.

Und sogar die Vereinten Nationen interessieren sich nun für das Schicksal der Betroffenen. Der UN-Ausschuss, der über die Einhaltung der „Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen“ (Cedaw) wacht, lud Vertreterinnen des Vereins Anfang Oktober nach Genf ein. Dort machte man den Frauen Mut: Auf den ersten Blick handle es sich um eine bekannte, systematische Diskriminierung, die der Staat gemäß Artikel 2 und 3 des Cedaw-Abkommens, das die Bundesrepublik 1985 ratifizierte, aktiv und ohne Verzögerung längst hätte abschaffen müssen. Und man riet den Betroffenen, die Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens beim Cedaw-Ausschuss zu beantragen.

Marion Böker, Beraterin für Menschenrechte und Genderfragen in Berlin, erarbeitet für den Verein nun den Begründungstext. Dazu müssen der Sachverhalt geschildert, sämtliche verfügbaren Fallbeispiele beigebracht und alle Bemühungen der Betroffenen auf der politischen Ebene aus 20 Jahren beschrieben werden. Kann ein UN-Gremium erreichen, was auf der nationalen Ebene scheiterte? Marion Böker ist zuversichtlich: „Cedaw hat ein viel umfassenderes Verständnis von Diskriminierung als ein Gericht. Und als Mitgliedsstaat des Abkommens wäre Deutschland verpflichtet zu handeln, wenn der UN-Ausschuss eine Diskriminierung erkennt.“ Überdies hätten die Vereinten Nationen weitaus größere Distanz zu ökonomischen Kontexten, die im nationalen Rahmen geltend gemacht würden.

Ute Lauterbach und ihre Mitstreiterinnen wollen keine Bittstellerinnen sein. „Es geht nicht um eine Armutslösung. Es geht um Gerechtigkeit“, sagt sie trotzig.

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